Vergabepraxis & -recht.

IBR 7/2025 - Vorwort
Liebe Leserin, lieber Leser,
im Bauvertragsrecht führt ein ordnungsgemäßer Bedenkenhinweis des Auftragnehmers gem. § 4 Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 3 VOB/B bzw. § 242 BGB zu einer Haftungsbefreiung (zu den inhaltlichen Anforderungen siehe z.B. OLG Düsseldorf, IBR 2023, 121, und OLG Brandenburg,
IBR 2011, 578). Wenngleich die Rechtsprechung immer wieder betont, dass der Bedenkenhinweis direkt – und idealerweise schriftlich – an den Auftraggeber zu richten ist (BGH,
IBR 1997, 277), kommt es in der Praxis (leider) immer wieder vor, dass sich der Auftragnehmer mit seinen Bedenken gegen die vorgesehene Art der Ausführung (= Planung) an den vom Auftraggeber mit der Planung und Bauüberwachung beauftragten Architekten bzw. Ingenieur wendet. Dadurch tritt grundsätzlich keine Haftungsbefreiung ein. Wo es aber einen Grundsatz gibt, gibt es auch (mindestens) eine Ausnahme. So hat das OLG Nürnberg entschieden, dass keine (direkte) Bedenkenhinweispflicht gegenüber dem Auftraggeber besteht, wenn dieser bereits die entsprechende Kenntnis hat. Dabei muss er sich die Kenntnis eines umfassend rechtsgeschäftlich bevollmächtigten Vertreters (im Fall des OLG Nürnberg "seines" Baubetreuers) zurechnen lassen (
S. 335).
Im Recht der Bausicherheiten hat der Bundesgerichtshof am 16.04.2025 entschieden, dass nach der Kündigung wegen Nichtleistung einer Bauhandwerkersicherung gem. § 648a Abs. 5 Satz 1 BGB a.F. (= § 650f Abs. 5 Satz 1 BGB) durch den Unternehmer dieser nach seiner Wahl etwaige Mängel der bis zur Kündigung erbrachten Leistung beseitigen oder die Beseitigung der Mängel ablehnen kann. Einer erneuten Fristsetzung zur Leistung der Bauhandwerkersicherung vor Ablehnung der Mängelbeseitigung bedarf es nicht ( S. 347). Der nach Kündigung bestehende Vergütungsanspruch für die bis zur Kündigung erbrachte Leistung ist für den Fall, dass der Unternehmer (auch) die Mängelbeseitigung wegen Nichtleistung der Bauhandwerkersicherung ablehnt, um den auf den Mangel entfallenden Wertanteil der Vergütung zu kürzen. Die Kürzung ist dabei ausgehend von der vereinbarten Vergütung anhand der Vergütungsanteile zu schätzen, die auf die mangelhafte Leistung entfallen (
S. 348).
Im Architekten- und Ingenieurrecht ist zunächst ein Urteil des OLG Koblenz hervorzuheben. Dort stritten sich die Parteien im Zusammenhang mit dem Umbau eines Einfamilienhauses darüber, ob eine vom Architekten vorgenommene Umplanung mit dem vereinbarten Pauschalhonorar abgegolten ist. Der Senat bejahte das mit der Begründung, der Architekt habe mehrfach mitgeteilt, dass infolge der Umplanung keine "Mehrkosten" entstünden ( S. 354). Der Architekt machte darüber hinaus eine Mindestsatzunterschreitung geltend und verlangte das Neunfache des ursprünglich vereinbarten Pauschalhonorars. Der Senat wies das Aufstockungsverlangen als treuwidrige Nachforderung zurück, weil der Auftraggeber auf den Bestand der Pauschalhonorarvereinbarung vertrauen durfte und sich in schutzwürdiger Weise darauf eingerichtet habe (
S. 355).
Eine Umplanung war auch Auslöser eines Rechtsstreits vor dem OLG Stuttgart. Der Architekt unterbreitete dem Auftraggeber ein Angebot für eine Planungsänderung in Höhe von knapp 2.000 Euro und machte die Leistungserbringung von der Bezahlung abhängig. Indessen handelte es sich um die Beseitigung eines Planungsfehlers, weshalb der Auftraggeber den Vertrag – zu Recht – wegen Erfüllungsverweigerung aus wichtigem Grund kündigte (hierzu bereits IBR 2025, 295). Der Senat entschied weiter, dass der Auftraggeber das Gesamthonorar des Architekten in Höhe des ursprünglichen Umplanungsangebots über knapp 2.000 Euro mindern konnte. Dass sich die Minderung insofern an fiktiven Mängelbeseitigungskosten ausrichtete, sei unschädlich. Denn nachdem der Auftraggeber einen anderen Architekten mit der Neuplanung beauftragt habe und davon auszugehen sei, dass dessen Vergütung über dem angesetzten Minderungsbetrag liege, drohe keine Überkompensation (
S. 360).
Im Vergaberecht ist ein Bieter jedenfalls dann verpflichtet, eine Bieterfrage zu stellen, wenn die Vergabeunterlagen "lückenhaft" im Sinne von kalkulatorisch unklar sind. Sich aus der Ausschreibung ergebende und für die Preiskalkulation bedeutsame Zweifelsfragen sind vor Angebotsabgabe zu klären (BGH, Urteil vom 25.06.1987 – VII ZR 107/86, IBRRS 1986, 0611; ausführlich zu den – vermeintlich bestehenden – vorvertraglichen Prüf- und Hinweispflichten der Bieter s. Bolz, NZBau 2021, 83 ff.). Stellt ein Bieter eine Frage, muss der öffentliche Auftraggeber sie auch beantworten (BayObLG, IBR 2024, 584), ohne ein "Staatsgeheimnis" daraus zu machen. Vielmehr gebietet der Gleichbehandlungsgrundsatz, dass ein Auftraggeber regelmäßig jede Auskunft, die er einem anfragenden Bieter erteilt, auch allen anderen Bietern erteilt. Er darf eine Bieterfrage allenfalls im Einzelfall individuell beantworten, wenn es sich nicht um eine zusätzliche sachdienliche Information handelt. Darauf weist die VK Sachsen in ihren Beschlüssen vom 21.01.2025 (
S. 366) und vom 19.12.2024 (
S. 367) hin.
In der Rubrik Prozessuales schließlich ist auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 03.03.2025 hinzuweisen, der sich mit den Folgen von übermäßigem "Vergleichsdruck" durch das Gericht befasst. Nach Ansicht der Karlsruher Verfassungshüter kann unangemessener Druck auf die Parteien eines Zivilverfahrens, einen Vergleich zu schließen, durchaus die Besorgnis der Befangenheit begründen. Gleiches gilt für unzulängliche oder unsachliche Stellungnahmen des Richters zu den zum Ablehnungsgesuch führenden Vorgängen in der dienstlichen Äußerung ( S. 382).
Auch alle anderen Beiträge empfehlen wir Ihrer Aufmerksamkeit.
Mit den besten Grüßen
Dr. Stephan Bolz
Rechtsanwalt
Geschäftsführender Herausgeber der IBR
Thomas Ryll
Rechtsanwalt
Schriftleiter IBR