Vergabepraxis & -recht.

Volltexturteile nach Sachgebieten
5448 Entscheidungen insgesamt
Online seit Januar
VPRRS 2025, 0001
EuGH, Urteil vom 21.11.2024 - Rs. C-336/23
Die Richtlinie (EU) 2019/1024 (...) über offene Daten und die Weiterverwendung von Informationen des öffentlichen Sektors ist dahin auszulegen, dass ein Antrag auf Zugang zu Dokumenten, die im Besitz einer öffentlichen Stelle sind, nicht in ihren Anwendungsbereich fällt.*)

Online seit 2024
VPRRS 2024, 0243
VK Südbayern, Beschluss vom 22.10.2024 - 3194.Z3-3_01-24-38
1. Wird der Entwurf eines Nachprüfungsantrags kurz vor Einreichung des Nachprüfungsantrags an den öffentlichen Auftraggeber als Rüge übermittelt, so genügt dies der Rügeobliegenheit des § 160 Abs. 3 Nr. 1 GWB. Wird sofort nach der Rüge ein Nachprüfungsantrag gestellt, ohne dem Auftraggeber irgendeine Reaktionszeit einzuräumen, so ist dies über eine Kostentragungspflicht des Antragstellers zu lösen, wenn der Auftraggeber sofort einlenkt.*)
2. Bei Objektplanungsleistungen kann die Bewertung eines mündlichen Vortrags hinsichtlich der Vortragsfähigkeiten des Referenten den gem. § 127 Abs. 3 GWB geforderten Auftragsbezug eines Zuschlagskriteriums haben, wenn die Tätigkeit der referierenden Personen im zu vergebenden Auftrag gerade auch das Präsentieren bzw. Vortragen beinhaltet.*)
3. Werden die Vortrags- bzw. Präsentationsfähigkeiten von künftigen Auftragnehmern im Rahmen der Zuschlagskriterien bewertet, so muss der öffentliche Auftraggeber sicherstellen, dass die bewerteten Personen dann bei der Leistungserbringung auch die entsprechenden Vortrags- bzw. Präsentationstätigkeiten übernehmen.*)

VPRRS 2024, 0247

OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.12.2024 - Verg 24/24
1. Die Teilnahme eines Unternehmens am Vergabeverfahren, das den Auftraggeber bereits in dessen Vorfeld beraten oder unterstützt hat, kann grundsätzlich als Gefährdung eines ordnungsgemäßen Wettbewerbs angesehen werden. Trotz dieser Gefahren ist die Teilnahme vorbefasster Unternehmen am Vergabeverfahren grundsätzlich zulässig. Dem Auftraggeber obliegt dabei die Verpflichtung, den Wissensvorsprung des einen Bieters durch Information aller anderen Bieter auszugleichen.
2. Es liegt grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen des öffentlichen Auftraggebers, welche Maßnahmen er zur Herstellung eines fairen Wettbewerbs ergreift und unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls zu bewerten, ob bei einer Beteiligung des Projektanten der Grundsatz des fairen Wettbewerbs gewahrt wird. Da der öffentliche Auftraggeber dafür Sorge zu tragen hat, dass dem Projektanten im Vergleich zu seinen Wettbewerbern kein überlegenes Angebot ermöglicht wird, dürfen dem Projektanten aufgrund seines Wissensvorsprungs auch durch die festgelegten Eignungs- und Zuschlagskriterien keine Wertungsvorteile entstehen.
3. Der rügende Bieter als derjenige, der eine unzureichende Mitteilung gesammelter Informationen durch vorbefasste Personen geltend macht, hat darzulegen, welche Informationen dies sein sollen und jedenfalls im Ansatz darzutun, dass diese Informationen wettbewerbsrelevant sind.
4. Bei der Bewertung kommt dem öffentlichen Auftraggeber systemimmanent ein Beurteilungsspielraum zu. Sie muss allerdings in sich und in Relation zu den übrigen Angeboten nachvollziehbar sein. Es muss klar sein, welche konkreten qualitativen Eigenschaften der Angebote mit welchem Gewicht in die Bewertung eingegangen sind. Der Auftraggeber ist daher verpflichtet, die Gründe für seine Auswahlentscheidung eingehend zu dokumentieren.
5. Die Bewertungsentscheidung ist daraufhin überprüfbar, ob die jeweilige Bewertung im Vergleich ohne Benachteiligung des einen oder anderen Bieters plausibel vergeben wurde. Es muss nachvollziehbar sein, weshalb ein Mitbewerber besser bewertet wurde; die Wertungen müssen im Quervergleich mit den besser bewerteten Angeboten stimmig sein, insbesondere demjenigen des Zuschlagsprätendenten. Dabei dürfen aber im Interesse der Handhabbarkeit keine allzu hohen Anforderungen an die Bewertungsbegründung gestellt werden, eine Nachvollziehbarkeit genügt.
6. Präkludierte Verstöße dürfen nicht von Amts wegen aufgegriffen werden. Während das Aufgreifen eines zwar nicht präkludierten, aber sich auch nicht aufdrängenden Vergabeverstoßes dadurch geheilt werden kann, dass sich der Antragsteller die amtswegigen Überlegungen der Vergabekammer im Beschwerdeverfahren zu eigen macht, steht § 160 Abs. 3 Satz 1 GWB als Präklusionsvorschrift gerade nicht zur Disposition der Verfahrensbeteiligten.

VPRRS 2024, 0244

VK Südbayern, Beschluss vom 08.05.2024 - 3194.Z3-3_01-24-10
1. Wird ein präqualifizierter Bieter von einem bei den Eignungskriterien verlinkten Formblatt weder explizit angesprochen, weil sich dieses nur an nicht-präqualifizierte Bieter richtet, noch weist die Gestaltung des Formblatts darauf hin, dass hier eine Mindestanforderung hinsichtlich der Nachweise an die Eignung aufgestellt wird, die auch für präqualifizierte Bieter einschlägig sein soll, darf ein präqualifizierter Bieter bereits aufgrund der Überschrift davon ausgehen, dass dieses Formblatt keine für ihn relevanten Informationen enthält. Er ist insbesondere nicht gehalten es nach versteckten Hinweisen auf Mindestanforderungen, die auch für ihn gelten könnten, zu durchsuchen.*)
2. Fehlen für präqualifizierte Bieter aufgrund eines Bekanntmachungsdefizits wirksam aufgestellte Eignungsanforderungen oder Nachweise, muss das Vergabeverfahren in den Stand vor Bekanntmachung zurückversetzt werden, wenn der Zuschlag auf das Angebot eines ungeeigneten Bieters droht. Ein präqualifizierter Bieter wäre dann als ungeeignet anzusehen, wenn er die für nicht-präqualifizierte Bieter aufgestellten Eignungsanforderungen nicht mit den von ihm im PQ-Verzeichnis hinterlegten Angaben und Nachweisen erfüllen kann.*)
3. Die von einer Vergabestelle geforderten vergleichbaren Referenzen müssen nicht zwingend Referenzen für die Komplettleistung sein, sondern eine Vergabestelle kann die technische Leistungsfähigkeit eines Bieter auch anhand von Referenzen für einzelne Leistungsbereiche bejahen, wenn die Einzelreferenzen über Leistungen erteilt wurden, welche mit den ausgeschriebenen Teilleistungen vergleichbar sind und die Vergabestelle in einer fehlerfreien Prognoseentscheidung festgestellt hat, dass die Summe der Einzelreferenzen die ordnungsgemäße Erfüllung der Gesamtmaßnahme erwarten lässt.*)
4. Da zur Vergleichbarkeit einer Leistung jedoch auch der Umfang der erbrachten Leistung gehört, erscheint es im Regelfall jedoch ausgeschlossen, dass mehrere Teilleistungen hinsichtlich des Umfangs einer der Art vergleichbaren Leistung vom selben Bieter zusammengenommen werden können, um eine nach Art und Umfang vergleichbare (Teil-)Leistung nachzuweisen.*)
5. Den Aussagen eines Bieters im Rahmen einer Preisaufklärung kommt ein bedeutender Erklärungswert darüber zu, wie der Bieter sein Angebot verstanden wissen wollte und mit welchem Inhalt er es kalkuliert hat. Will ein Bieter von Erklärungen, die er im Rahmen der Preisaufklärung getätigt hat später abrücken, so obliegt es ihm hinreichende Nachweise dafür zu bringen, dass die Kalkulation seines Angebots ursprünglich tatsächlich etwas anderes beinhaltete als er (versehentlich) in der Aufklärung erklärt hat.*)
6. Hat ein Bieter in seinem Angebot abschließend erklärt, eine bestimmte (Teil-)Leistung selbst zu erbringen, kann er für diese Leistung nachträglich keinen Unterauftragnehmer mehr benennen, da dies eine unzulässige inhaltliche Änderung seines Angebots darstellen würde. Das Angebot ist jedoch nicht auszuschließen, sondern so zu werten, wie es eingegangen ist, also dass die Leistung im eigenen Betrieb ausgeführt wird.*)
VPRRS 2024, 0242

VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 20.11.2024 - 1 VK 67/24
1. Fehlt einem Bieter die Eignung, ist er in jeder Phase des Vergabeverfahrens auszuschließen.
2. Bei festgestellter Eignung kann der Bieter nachträglich Schadensersatz gegen den Auftraggeber geltend machen, jedoch nicht darauf vertrauen, dass er nicht ausgeschlossen wird (entgegen OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29.03.2021 - Verg 9/21, IBRRS 2021, 2415).

VPRRS 2024, 0241

BGH, Urteil vom 17.09.2024 - KRB 101/23
Bei einer Submissionsabsprache beginnt die nach nationalem Prozessrecht zu beurteilende Verfolgungsverjährung nicht schon mit dem sich aus der wettbewerbsbeschränkenden Absprache ergebenden Vertragsschluss, sondern erst mit der vollständigen Vertragsabwicklung; daran ist auch nach der Entscheidung des EuGH vom 14.01.2021 (Rs. C-450/19 - Eltel, IBRRS 2021, 0183 = VPRRS 2021, 0016) festzuhalten (Bestätigung von BGH, Beschluss vom 25.08.2020 - KRB 25/20 - Unterlassenes Angebot, m.w.N., IBRRS 2020, 2702 = VPRRS 2020, 0286).*)

VPRRS 2024, 0240

VK Nordbayern, Beschluss vom 08.12.2023 - RMF-SG21-3194-8-25
1. Ein öffentlicher Auftraggeber ist aufgrund eines einmal eingeleiteten Vergabeverfahrens grundsätzlich nicht zur Zuschlagserteilung verpflichtet. Auch dann, wenn kein gesetzlich normierter Aufhebungsgrund vorliegt, kann er von einem Vergabeverfahren Abstand nehmen.
2. Nur in Ausnahmefällen kann ein Anspruch auf Fortsetzung des Vergabeverfahrens angenommen werden. Das ist der Fall, wenn die Aufhebungsentscheidung willkürlich ist oder wenn die Aufhebung bei fortbestehender Beschaffungsabsicht nur zu dem Zweck erfolgt, Bieter zu diskriminieren.
3. Willkürlich ist die Aufhebung des Vergabeverfahrens nur dann, wenn sie unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht. Willkür liegt erst vor, wenn eine offensichtlich einschlägige Norm in eklatanter Weise nicht berücksichtigt oder der Inhalt einer Norm in eklatanter Weise missdeutet wird.
4. Die fehlende Wirtschaftlichkeit stellt ein grundsätzlich anerkennenswertes Motiv dar. Ein unwirtschaftliches Ergebnis der Ausschreibung aufgrund eines Angebots, das den ordnungsgemäß ermittelten Auftragswert deutlich übersteigt, stellt einen schwer wiegenden Grund dar, der den Auftraggeber zur Aufhebung der Ausschreibung berechtigt.
5. Die Feststellung der Unwirtschaftlichkeit erfordert eine aktuelle und ordnungsgemäße Ermittlung des Auftragswerts.
6. Auch mit angemessener Sorgfalt durchgeführte Schätzungen sind nur Prognoseentscheidungen. Bei der Ordnungsgemäßheit der Kostenschätzung geht es nicht vorrangig darum, dass die Preise tatsächlich den Marktpreisen entsprechen. Es kommt darauf an, dass die Methodik der Kostenermittlung grundsätzlich geeignet ist, Marktpreise im Voraus zu schätzen.

VPRRS 2024, 0232

OLG Karlsruhe, Beschluss vom 22.08.2024 - 15 Verg 8/24
Ein Angebot kann nicht wegen Abweichung von den Vergabeunterlagen ausgeschlossen werden, wenn der öffentliche Auftraggeber in zulässiger Weise ein Leitfabrikat vorgibt und das vom Bieter angebotene Fabrikat den Gleichwertigkeitsanforderungen genügt.

VPRRS 2024, 0230

OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10.05.2023 - Verg 45/22
1. Für einen durchschnittlichen fachkundigen Bieter des angesprochenen Personenkreises ist bei Anwendung der üblichen Sorgfalt und üblichen Kenntnis bei laienhafter rechtlicher Bewertung nicht feststellbar, ob die Fristverlängerung nach Ablauf der Angebotsfrist auf einen Vergaberechtsverstoß hindeutet. Vertiefte rechtliche Kenntnisse, die es erlauben, die Vergaberechtskonformität einer Wiedereröffnung der Angebotsphase - einschließlich einer Differenzierung zwischen wirksamer und rechtmäßiger Wiedereröffnung - zu beurteilen, können von einem durchschnittlichen Bieter nicht erwartet werden.
2. Die erst nach Ablauf der ursprünglichen Angebotsfrist mitgeteilte Fristverlängerung stellt vergaberechtlich eine Wiedereröffnung der Angebotsfrist in Form einer Teilrückversetzung des Vergabeverfahrens (horizontale Teilaufhebung) dar.
3. Ein öffentlicher Auftraggeber kann grundsätzlich nicht verpflichtet werden, einen Auftrag auf der Grundlage einer Ausschreibung zu erteilen, die er als fehlerhaft erkannt hat. Eine bereits erfolgte Submission schließt eine solche Fehlerkorrektur nicht aus.
4. Notwendige Voraussetzung für eine vollständige oder auch nur teilweise Aufhebung einer Ausschreibung ist lediglich, dass der öffentliche Auftraggeber für seine (Teil-)Aufhebungsentscheidung einen sachlichen Grund hat, so dass eine Diskriminierung einzelner Bieter ausgeschlossen und seine Entscheidung nicht willkürlich ist oder nur zum Schein erfolgt.
5. Gleiches gilt für die Aufhebung einzelner Verfahrensabschnitte des Vergabeverfahrens (horizontale Teilaufhebung), durch die das Vergabeverfahren in einen bestimmten Verfahrensstand zurückversetzt wird.

VPRRS 2024, 0229

VK Nordbayern, Beschluss vom 11.09.2024 - RMF-SG21-3194-9-18
1. Aus dem Transparenz- und Gleichbehandlungsgebot resultiert grundsätzlich die Verpflichtung, Antworten auf Bieterfragen allen Bietern zur Verfügung zu stellen.
2. Mitteilungsbedürftig sind damit insbesondere Bieterfragen, die zu einer Änderung der Vergabeunterlagen führen oder solche Antworten, die Auswirkungen auf die Kalkulation der Angebote haben. Das Absehen von der Übermittlung der Antworten an die anderen Bieter stellt vor dem Hintergrund des vergaberechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes eine Ausnahme dar, die nur unter bestimmten Umständen angenommen werden kann.
3. Die ausschließlich private Beantwortung der Fragen des rügenden Bieters verletzt diesen in seinen Rechten, da es ist nicht auszuschließen ist, dass die anderen Bieter bei Erhalt dieser Informationen ihre Angebote so verändert hätten, dass sich dies zu Gunsten des rügenden Bieters ausgewirkt hätte.
4. Eine ursprünglich eindeutige Leistungsbeschreibung kann nachträglich intransparent werden, wenn die Antworten auf gestellte Bieterfragen der Leistungsbeschreibung widersprechen.

VPRRS 2024, 0227

VK Bund, Beschluss vom 23.07.2024 - VK 1-64/24
1. Eignungskriterien müssen mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung und zu diesem in einem angemessenen Verhältnis stehen. Der Auftraggeber kann insoweit auch Mindestanforderungen festlegen.
2. Als Beleg der erforderlichen technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit des Bewerbers kann der öffentliche Auftraggeber Angaben über die Ausführung von Leistungen in den letzten bis zu fünf abgeschlossenen Kalenderjahren, die mit der zu vergebenden Leistung vergleichbar sind, verlangen.
3. Der öffentliche Auftraggeber kann einen Bieter unter Einhaltung der Grundsätze der Transparenz und Gleichbehandlung auffordern, fehlende, unvollständige oder fehlerhafte unternehmensbezogene Unterlagen, die mit dem Angebot vorzulegen waren, nachzureichen, zu vervollständigen oder zu korrigieren, es sei denn, er hat eine Nachforderung ganz oder teilweise ausgeschlossen.
4. Unternehmensbezogene Unterlagen wie Referenzen "fehlen", wenn sie (körperlich) nicht im Angebot enthalten sind, nicht rechtzeitig vorgelegt wurden oder in formaler Hinsicht mangelhaft sind.
5. Ein inhaltlicher Mangel der Referenzen stellt kein physisches Fehlen von Unterlagen dar.

VPRRS 2024, 0221

VK Nordbayern, Beschluss vom 07.06.2024 - RMF-SG21-3194-9-10
1. Grundsätzlich wird ein Vertrauenstatbestand angenommen, wenn in einem Verhandlungsverfahren mit vorgeschalteten Teilnahmewettbewerb der öffentliche Auftraggeber die Eignung der Teilnehmer geprüft und die Eignung bejaht hat.
2. Bieter können sich jedoch nicht auf einen solchen Vertrauensschutz berufen, wenn nachträgliche Erkenntnisse zu einer neuen Tatsachengrundlage für die Bewertung der Eignung führen (hier: unrichtige Angaben in einer Referenz). Das gilt auch dann, wenn der öffentliche Auftraggeber bereits in einem vorherigen Teilnahmewettbewerb die Unrichtigkeit durch eine sorgfältigere Prüfung hätte erkennen können.
3. Ein entsprechender Vertrauenstatbestand entsteht überdies nur dann, wenn der Bewerber im Teilnahmewettbewerb alle erforderlichen Unterlagen rechtzeitig übermittelt und wahre Angaben getätigt hat. Bei fahrlässig getätigten Falschangaben und erst recht bei arglistigem Handeln bzw. vorsätzlicher Täuschung ist der Bewerber jedoch nicht schutzwürdig.

VPRRS 2024, 0224

EuGH, Urteil vom 24.10.2024 - Rs. C-513/23
Art. 42 Abs. 3 b der Richtlinie 2014/24/EU (…) über die öffentliche Auftragsvergabe (…) ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die von öffentlichen Auftraggebern in allen Fällen, in denen die in den Auftragsunterlagen dargelegten technischen Spezifikationen unter Bezugnahme auf nationale Normen formuliert sind, mit denen europäische Normen (…) umgesetzt werden, den Zusatz „oder gleichwertig“ verlangt.*)

VPRRS 2024, 0219

VK Bund, Beschluss vom 27.09.2024 - VK 2-69/24
1. Der öffentliche Auftraggeber darf nur solche Zuschlagskriterien berücksichtigen, die in der Bekanntmachung oder den Vergabeunterlagen genannt sind.
2. Der Katalog der zulässigen Zuschlagskriterien in § 16d EU Abs. 2 VOB/A 2019 ist nicht abschließend. Entscheidend ist, ob das Zuschlagskriterium mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung steht.
3. Verbindung zwischen Zuschlagskriterium und Auftragsgegenstand besteht auch dann, wenn sich ein Zuschlagskriterium auf Prozesse im Zusammenhang mit der Herstellung, Bereitstellung oder Entsorgung der Leistung, auf den Handel mit der Leistung oder auf ein anderes Stadium im Lebenszyklus der Leistung bezieht.
4. Längere als die in § 13 Abs. 4 VOB/B genannten Gewährleistungsfristen für Mängel können ein zulässiges Zuschlagskriterium sein. Durch eine Verlängerung der Gewährleistungsfristen wird den Bietern kein ungewöhnliches Wagnis aufgebürdet.
5. Der Preis hat stets ein gewichtiges Merkmal darzustellen, das beim Zuschlagskriterium des wirtschaftlichsten Angebots nicht am Rande der Wertung stehen darf, sondern das vom Auftraggeber in ein angemessenes Verhältnis zu den übrigen Wertungskriterien zu bringen ist.
6. Geht der Preis mit einer Gewichtung von 80% und die Qualität der Leistung mit einer Gewichtung von 20% in die Wertung ein, kann nicht angenommen werden, der Zuschlag könne losgelöst von der Qualität der Leistung erteilt werden.

VPRRS 2024, 0217

EuGH, Urteil vom 17.10.2024 - Rs. C-28/23
1. Art. 1 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2004/18/EG (...) ist dahin auszulegen, dass ein Vertragswerk zwischen einem Mitgliedstaat und einem Wirtschaftsteilnehmer, das aus einer Finanzhilfevereinbarung und einem Kaufvorvertrag besteht, die im Hinblick auf die Errichtung eines Fußballstadions geschlossen wurden, einen "öffentlichen Bauauftrag" im Sinne dieser Bestimmung darstellt, sofern mit dem Vertragswerk gegenseitige Verpflichtungen zwischen dem Mitgliedstaat und dem Wirtschaftsteilnehmer begründet werden, darunter die Verpflichtung zum Bau des Stadions gemäß den vom Mitgliedstaat genannten Bedingungen und eine einseitige Option des Wirtschaftsteilnehmers, die der Verpflichtung des Mitgliedstaats entspricht, das Stadion zu erwerben, und sofern dem Wirtschaftsteilnehmer mit dem Vertragswerk eine staatliche Beihilfe gewährt wird, die von der Kommission als mit dem Binnenmarkt vereinbar anerkannt wurde.*)
2. Die Richtlinie 89/665/EWG (...) und die Richtlinie 2014/24/EU (...) sind dahin auszulegen, dass sie der Anwendung nationaler Rechtsvorschriften, wonach ein unter Verstoß gegen das Vergaberecht geschlossener Vertrag ex tunc absolut nichtig ist, im Rahmen einer Nichtigkeitseinrede des öffentlichen Auftraggebers nicht entgegenstehen, sofern die eine solche Nichtigkeit vorsehenden Rechtsvorschriften im Fall eines öffentlichen Auftrags, der in den sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie 2014/24 fällt, das Unionsrecht einschließlich der allgemeinen unionsrechtlichen Grundsätze beachten.*)

VPRRS 2024, 0214

VK Nordbayern, Beschluss vom 08.08.2024 - RMF-SG21-3194-9-19
Setzt der Bieter im VHB-Formblatt 213.H kein Kreuz unter "Vertragsformular für Instandhaltung [...]" und trägt er unter Ziffer 2.1 keine Gesamtsumme für den Instandhaltungsvergütung ein, führt das nicht zum Angebotsausschluss wegen Unvollständigkeit, wenn der Wartungsvertrag dem Angebot als Anlage beigefügt ist und die geforderte Gesamtsumme enthält.

VPRRS 2024, 0213

VK Berlin, Beschluss vom 05.05.2023 - VK B 1-19/22
1. Die Bestimmung des Hauptgegenstands des Vertrags erfolgt nach den Umständen des Einzelfalls. Dabei ist auf die wesentlichen, vorrangigen Verpflichtungen abzustellen, die den Auftrag als solchen prägen, und nicht auf die Verpflichtungen bloß untergeordneter oder ergänzender Art die zwingend aus dem eigentlichen Gegenstand des Vertrags folgen. Der jeweilige Wert der dabei erbrachten Einzelleistungen ist insoweit nur ein Kriterium unter anderen, die bei der Ermittlung des Hauptgegenstands zu berücksichtigen sind.
2. Die Erkennbarkeit von Verstößen gegen Vergabevorschriften hat zwei Komponenten. Erkennbarkeit ist auf die einen Rechtsverstoß begründenden Tatsachen und deren rechtliche Bewertung als Vergaberechtsverstoß zu beziehen. Eine Rügepräklusion kommt in der Regel nur bei auf allgemeiner Überzeugung der Vergabepraxis beruhenden und ins Auge fallenden Rechtsverstößen in Betracht. Der Verstoß muss so offensichtlich sein, dass er einem verständigen Bieter bei der Vorbereitung seines Angebots bzw. seiner Bewerbung auffallen muss.
3. Bei dem Begriff "vergleichbare Leistung" handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der anhand des Wortlauts der Vergabeunterlagen und von Sinn und Zweck der geforderten Angaben unter Berücksichtigung des Wettbewerbs- und Gleichbehandlungsgrundsatzes auszulegen ist. Dabei bedeutet die Formulierung "vergleichbar" nicht "gleich" oder gar "identisch", sondern, dass die Leistungen im technischen oder organisatorischen Bereich einen gleich hohen oder höheren Schwierigkeitsgrad hatten.
4. Die Eröffnung der sog. "zweiten Chance" durch eine Zurückversetzung des Vergabeverfahrens, kommt nur in Betracht, wenn aufgrund der Sach- und Rechtslage am Schluss der (letzten) mündlichen Verhandlung feststeht, dass ein vergaberechtskonformer Zuschlag unmöglich ist und sich daran auch durch bloße Fortsetzung des Vergabeverfahrens nichts mehr ändern kann. Es genügt nicht, wenn lediglich diese Möglichkeit im Raum steht, etwa weil noch die ergebnisoffene Prüfung konkurrierender Angebote durch den Auftraggeber auf Ausschlussgründe aussteht, die diesem einen Beurteilungsspielraum auf der Tatbestandsebene und/oder einen Ermessensspielraum bei der Rechtsfolge einräumen.

VPRRS 2024, 0212

EuGH, Urteil vom 22.10.2024 - Rs. C-652/22
Unternehmen, die aus Drittstaaten kommen, die keine internationalen Übereinkünfte mit der Europäischen Union im Bereich des öffentlichen Auftragswesens geschlossen haben, haben in Vergabeverfahren keinen Anspruch auf Gleichbehandlung mit in der Europäischen Union ansässigen Unternehmen.

VPRRS 2024, 0211

VK Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 26.04.2023 - 3 VK 1/23
1. Die positive Kenntnis des Bieters wird zwar, insbesondere hinsichtlich der rechtlichen Wertung, häufig erst nach anwaltlicher Beratung zu bejahen sein. Allerdings ist dann eine Grenze erreicht und von einer Rügeobliegenheit auszugehen, wenn der Kenntnisstand des Bieters in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht einen solchen Grad erreicht hat, dass seine Unkenntnis vom Vergaberechtsverstoß nur als ein mutwilliges Sich-Verschließen vor der Erkenntnis dieses Rechtsverstoßes verstanden werden kann (hier bejaht).
2. Eignungskriterien sind in der Auftragsbekanntmachung aufzuführen, wobei eine Verlinkung mit der Auftragsbekanntmachung ausreicht.
3. Kann sicher ausgeschlossen werden, dass sich ein festgestellter Vergaberechtsverstoß auf die Auftragschancen des Antragstellers ursächlich ausgewirkt haben kann, fehlt die Antragsbefugnis.
4. Auf eine Verletzung der Dokumentationspflicht, die grundsätzlich bieterschützend ist, kann sich ein Bieter nur insoweit stützen, wie sich die Versäumnisse des Auftraggebers auf seine Rechtsstellung und die Auftragschancen im Vergabeverfahren negativ ausgewirkt haben können.

VPRRS 2024, 0207

VK Niedersachsen, Beschluss vom 25.06.2024 - VgK-12/2024
1. Ein Vertrag über den Betrieb einer Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete ist kein Bauauftrag, sondern ein Dienstleistungsauftrag.
2. Nicht die Vergabekammer, sondern nur die Vergabestelle ist Herrin des Vergabeverfahrens. Es ist nicht Aufgabe der Vergabekammer, dem Bieter hier vor oder anstelle der Antragsgegnerin die Eignung abzusprechen. Die Vergabekammer würde mit einer solchen Entscheidung in den Beurteilungsspielraum der öffentlichen Auftraggeberin eingreifen.
3. Weicht der öffentliche Auftraggeber von der gesetzlichen Zielvorstellung einer Kombination aus Eignungs- und Zuschlagskriterien ab, weil es ihm vor allem auf ein besonders wirtschaftlich ausgerichtetes Angebot ankommt, indem er § 122 Abs. 1 GWB nur schwach inhaltlich abarbeitet, führt das nicht zu einer Verletzung der Rechte des Konkurrenten.
4. Eine Vergabe im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb ist bei für die Allgemeinheit unverzichtbaren Leistungen auch dann möglich, wenn die Dringlichkeit auf Versäumnisse der Vergabestelle zurückzuführen sind. Der Aspekt der Zurechenbarkeit und Vorhersehbarkeit tritt hinter die Notwendigkeit der Kontinuität der Leistungserbringung zurück, wenn bedeutende Rechtsgüter, wie etwa Leib und Leben oder hohe Vermögenswerte, unmittelbar gefährdet sind.
5. Der Zeitraum für die Dringlichkeitsbeauftragung darf als Ultima Ratio nur soweit bemessen werden, wie es erforderlich ist, die von der Antragsgegnerin beabsichtigte Vergabe in einem ordnungsgemäßen, förmlichen Vergabeverfahren durchzuführen (im Regelfall maximal 12 Monate).
6. Die Unwirksamkeit der Vertrags muss nicht zwingend rückwirkend erklärt werden. Das gilt insbesondere dann, wenn eine Unwirksamkeit von Anfang an unverhältnismäßig wäre.

VPRRS 2024, 0210

VK Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 15.03.2023 - 1 VK 1/23
1. Anders als in der VOB/A besteht bei der Vergabe von Liefer- und Dienstleistungen kein Anspruch auf die Nachforderung fehlender Unterlagen. Bieter bzw. Bewerber haben jedoch Anspruch darauf, dass die Vergabestellen das ihnen zustehende Ermessen ordnungsgemäß ausüben.
2. Sofern für die elektronische Übermittlung der Unterlagen die Verwendung einer Vergabeplattform vorgesehen ist, muss diese auch verwendet werden. Eine Übersendung der Unterlagen in anderer Form (z.B. per E-Mail) ist in diesem Fall grundsätzlich nicht zulässig, führt aber regelmäßig nur zum Ausschluss der formwidrig abgegebenen Unterlagen.
3. Grundsätzlich trägt der Bieter das Risiko der Übermittlung und des rechtzeitigen und vollständigen Eingangs seines Angebotes. Er muss sein Angebot so rechtzeitig auf den Weg bringen und den Übermittlungsvorgang beginnen, dass sein Angebot vor Fristablauf an der vorgesehenen Stelle eingegangen ist. Treten technische Schwierigkeiten beim Betrieb der verwendeten elektronischen Mittel auf, so sind die Folgen danach zu beurteilen, wessen Sphäre sie zuzuordnen sind. Bieter haben also dafür Sorge zu treffen, dass stets die neueste Version des Bieter-Cockpits auf ihrem PC oder Netzwerk installiert ist.
4. Entscheidet sich der öffentliche Auftraggeber dazu, keine Unterlagen nachzufordern, dann ist er auch nicht verpflichtet, dem Bieter Gelegenheit zur Nachreichung fehlender Unterlagen zu geben, bevor er ihn ausschließt.
5. Ist der öffentliche Auftraggeber zum Angebotsausschluss verpflichtet, kann ein rechtlich schützenswertes Vertrauen des betreffenden Bieters, sein Angebot werde nicht von der Wertung ausgeschlossen werden, nicht entstehen (hier: wegen vorheriger Bindefristverlängerung).
6. Die Installationsbedürftigkeit und potenzielle Schädlichkeit einer Software (hier: Java-Script) stellt keinen Verstoß gegen die §§ 11, 12 VgV dar.

VPRRS 2024, 0201

VK Bund, Beschluss vom 30.08.2024 - VK 1-72/24
1. Angebote, die Änderungen der Vergabeunterlagen beinhalten, sind auszuschließen. Das gilt auch im Verhandlungsverfahren, wenn sich der Auftraggeber die Zuschlagerteilung ohne weitere Verhandlungen vorbehält.
2. Eine unzulässige Änderung der Vergabeunterlagen liegt vor, wenn der Bieter den unbedingt anzubietenden Nachlass unter verschiedene Bedingungen stellt (hier: HOAI-konforme Ermittlung verschiedener Honorarparameter, obwohl der Vertrag von der HOAI abweichende Regelungen enthält).
3. Eine Aufklärung des von den Vergabeunterlagen abweichenden Angebots ist unzulässig, wenn sich der Auftraggeber die Zuschlagerteilung ohne weitere Verhandlungen vorbehalten hat und das Hinwegdenken der Abweichungen zu einer Änderung des Angebots führen würde.

VPRRS 2024, 0197

OLG Köln, Urteil vom 07.02.2024 - 11 U 118/20
1. Ein Angebot ist als nicht formgerecht auszuschließen, wenn das Leistungsverzeichnis nur als pdf-Dokument eingereicht wird, obwohl der öffentliche Auftraggeber in den Vergabeunterlagen festgelegt hat, dass das Leistungsverzeichnis unter Verwendung des dort genannten Softwareprogramms als GAEB-Datei im Format d.84 oder x.84 einzureichen ist.
2. Sowohl GAEB-Programme als auch Windows PCs oder das XML-Format sind allgemein verfügbar und mit allgemein verbreiteten Geräten kompatibel im Sinne von § 11a Abs. 1 Satz 1 VOB/A 2016.

VPRRS 2024, 0194

Generalanwalt beim EuGH, Schlussanträge vom 12.09.2024 - Rs. C-424/23
Art. 42 Abs. 2, 3 und 4 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.02.2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG ist dahin auszulegen, dass
1. die Aufzählung der Arten der Formulierung technischer Spezifikationen in Art. 42 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24 bindend und abschließend ist;*)
2. nach Art. 42 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24 die Anforderung, dass die Abwasserrohre für die Ableitung von Regenwasser aus Beton und für die Ableitung von Abwasser aus Steinzeug bestehen müssen, einen Verweis auf bestimmte Typen oder bestimmte Produktionen darstellt. Dieser Verweis
- hat für sich genommen die Wirkung, bestimmte Unternehmen oder bestimmte Waren zu begünstigen oder auszuschließen, ohne dass zwingend erforderlich wäre, dass es nur einen einzigen Hersteller dieser Ware auf dem Markt gibt;
- kann zulässig sein, wenn er durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt ist, was vom öffentlichen Auftraggeber in den Auftragsunterlagen darzulegen ist;
- kann gemäß Art. 42 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24 auch zulässig sein, wenn eine hinreichend genaue und verständliche Beschreibung des Auftragsgegenstands nicht möglich ist;
- muss mit dem Zusatz "oder gleichwertig" versehen sein, es sei denn, der Auftragsgegenstand setzt objektiv betrachtet zwingend die Verwendung eines Bauteils voraus, das sich nicht durch ein gleichwertiges Bauteil ersetzen lässt.*)
3. Ein Verstoß gegen die Anforderungen von Art. 42 Abs. 3 oder 4 der Richtlinie 2014/24 impliziert zugleich einen Verstoß gegen Art. 42 Abs. 2 und Art. 18 Abs. 1 dieser Richtlinie.*)

VPRRS 2024, 0189

VK Bund, Beschluss vom 26.03.2024 - VK 1-24/24
1. Eine vergaberechtswidrige Mehrdeutigkeit der Vergabeunterlagen liegt vor, wenn fachkundigen Unternehmen auch nach Auslegungsbemühungen mehrere Auslegungsmöglichkeiten verbleiben oder das zutreffende Verständnis der Vergabeunterlagen eine besondere Gesamtschau erfordert, die von den Bietern oder Bewerbern im Vergabewettbewerb erfahrungsgemäß nicht geleistet wird oder nicht geleistet werden kann.
2. Von einem Angebotsausschluss wegen eines möglicherweise nicht gravierenden formalen Mangels kann im Interesse der Erhaltung eines möglichst umfassenden Wettbewerbs abzusehen sein, wenn sich der formale Mangel eines fehlenden Formblatts insofern nicht auswirken würde, als das Angebot anderweitig alle im Angebotsschreiben geforderten Angaben und Erklärungen enthielte.
3. Es gibt keinen allgemeinen Erfahrungssatz, wonach ein Bieter stets das anbietet, was in der Ausschreibung gefordert ist.
4. Eine Nachforderung hat zu unterbleiben, wenn der Auftraggeber sie in den Vergabeunterlagen wirksam ausgeschlossen hat. Bei der normativen Auslegung der Nachforderungsregelung ist auf den objektiven Empfängerhorizont der potentiellen Bieter, also einen abstrakten Adressatenkreis, abzustellen.

VPRRS 2024, 0185

VK Berlin, Beschluss vom 16.11.2023 - VK B 1-7/22
1. Eignungskriterien dürfen ausschließlich die Befähigung und Erlaubnis zur Berufsausübung, die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit sowie die technische und berufliche Leistungsfähigkeit betreffen, wobei die Eignungskriterien vom öffentlichen Auftraggeber im Einzelnen festzulegen und in der Auftragsbekanntmachung aufzuführen sind. Für ungeschriebene Eignungskriterien (hier: "Fachkunde") ist neben den normierten Ausschlusstatbeständen der §§ 123, 124 GWB kein Raum.
2. Der öffentliche Auftraggeber verstößt gegen allgemeine Bewertungsgrundsätze, indem er die Eignungsprüfung des Bieters mit der Prüfung der Angebotskalkulation vermengt und Kalkulationsfehler im Angebot des Antragstellers zur Grundlage der Entscheidung über die Eignung des Antragstellers im selben Verfahren macht.
3. ...

VPRRS 2024, 0184

OLG Frankfurt, Beschluss vom 20.06.2024 - 11 Verg 2/24
1. Für die Frage der Notwendigkeit der Heranziehung eines Rechtsanwalts ist eine differenzierte Betrachtung des Einzelfalls erforderlich.*)
2. Sofern im Mittelpunkt des Nachprüfungsverfahrens auftragsbezogene Sach- und Rechtsfragen stehen, spricht im Allgemeinen mehr dafür, dass der öffentliche Auftraggeber die erforderlichen Kenntnisse in seinem originären Aufgabenkreis selbst organisieren muss und daher die Heranziehung eines Rechtsanwalts im Nachprüfungsverfahren nicht notwendig ist.*)
3. In diesem Sinne können auch dann auftragsbezogene Sach- und Rechtsfragen im Mittelpunkt des Nachprüfungsverfahrens stehen, wenn die auftragsbezogenen Fragen primär prozessual, insbesondere im Rahmen der Frage der Antragsbefugnis (§ 160 Abs. 2 GWB) und der Erkennbarkeit des gerügten Sachverhalts (§ 160 Abs. 3 GWB), erörtert werden.*)

VPRRS 2024, 0182

VG Magdeburg, Urteil vom 09.07.2024 - 3 A 159/22
1. Sind die Fördervoraussetzungen zulässigerweise in Förderrichtlinien geregelt, hat sich das Verwaltungsgericht bei der Rechtmäßigkeitsprüfung darauf zu beschränken, ob bei der Anwendung einer solchen Richtlinie im Einzelfall der Gleichheitssatz verletzt worden ist oder gegebenenfalls ein sonstiger Verstoß gegen einschlägige materielle Rechtsvorschriften vorliegt.
2. Entscheidend ist allein, wie die zuständige Behörde die Richtlinie im maßgeblichen Zeitpunkt in ständiger, zu einer Selbstbindung führenden Verwaltungspraxis gehandhabt hat und in welchem Umfang sie infolgedessen an den Gleichheitssatz gebunden ist.
3. Der öffentliche Auftraggeber verstößt gegen die Zuwendungsbedingungen, wenn er auch Angebote solcher Bieter wertet, die nicht sämtliche der geforderten Umsatzzahlen mitgeteilt oder keine vollständige Verpflichtungserklärung zur Beachtung der ILO-Kernarbeitsnormen abgegeben haben. Selbiges gilt für denjenigen, der sich nach Vorlage einer abgelaufenen Unbedenklichkeitsbescheinigung der Berufsgenossenschaft unter Verstoß gegen das Nachforderungsverbot eine aktuelle Bescheinigung nachreichen lässt.
4. Das bestehende Ermessen kann mit Rücksicht auf die haushaltsrechtlichen Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der Haushaltsführung in der Regel nur durch die (teilweise) Aufhebung des Zuwendungsbescheids fehlerfrei ausgeübt werden kann (sog. intendiertes Ermessen).

VPRRS 2024, 0177

VK Bund, Beschluss vom 25.07.2024 - VK 1-58/24
1. Der öffentliche Auftraggeber kann ein Unternehmen unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen, wenn es versucht hat, die Entscheidungsfindung des öffentlichen Auftraggebers in unzulässiger Weise zu beeinflussen.
2. Als Versuch der unzulässigen Einflussnahme ist jede Kontaktaufnahme anzusehen, die nicht die in dem konkreten Vergabeverfahren vorgesehenen Wege und Mittel der Kommunikation einhält und in der ein Unternehmen versucht, Einfluss auf den Auftraggeber oder mit ihm zusammenhängende Stellen oder Personen in Bezug auf das Ergebnis des Vergabeverfahrens zu nehmen.
3. Nimmt ein Unternehmen zu einem potenziellen Wettbewerber im Vorfeld einer möglichen Ausschreibung Kontakt auf, um diesen unter Hinweis auf ein bestehendes Vertragsverhältnis unter der Androhung von Nachteilen (Schadensersatz) von der Teilnahme an einer öffentlichen Ausschreibung abzuhalten, liegt kein Versuch der unzulässigen Einflussnahme vor.
4. Eine kartellrechtswidrige Nachteilsandrohung kann eine unzulässige wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung - die Verabredung einer Nichtbeteiligung eines Wettbewerbers an der Ausschreibung - darstellen.
5. ...

VPRRS 2024, 0175

VK Südbayern, Beschluss vom 04.04.2024 - 3194.Z3-3_01-23-68
1. Im Streitfall über die Voraussetzungen des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB muss die Vergabestelle den Nachweis der Tatbestandsvoraussetzungen des Ausschlussgrunds führen, nämlich dass eine erhebliche oder fortdauernde Schlechtleistung zur Kündigung oder einer vergleichbaren Rechtsfolge geführt hat. Es genügt nicht, dass der Auftraggeber gekündigt hat, es muss vielmehr mit hinreichender Sicherheit feststehen, dass dies auch zu Recht erfolgt ist.*)
2. Im Nachprüfungsverfahren gilt der insbesondere in § 167 GWB verankerte Beschleunigungsgrundsatz. Die Vergabekammer bzw. der -senat ist daher nicht gehalten, die Rechtmäßigkeit der streitigen Kündigung selbst im Wege einer vollumfänglichen Inzidentprüfung mit unter Umständen langwieriger Beweisaufnahme wie in einem Bauprozess zu klären. Vielmehr hat die Vergabekammer anhand des Vorbringens der Beteiligten und der eingereichten Unterlagen zu prüfen, ob der öffentliche Auftraggeber den Nachweis der Tatbestandsvoraussetzungen des Ausschlussgrunds auch mit hinreichender Sicherheit führen kann.*)
3. Einem Unternehmen kann sein Verhalten bei Erfüllung eines öffentlichen Auftrags als Mitglied einer Bietergemeinschaft, an die ein Auftrag vergeben wurde, im Rahmen des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB zugerechnet werden, wenn ihm ein individueller Beitrag zu den während der Vertragsausführung auftretenden Mängeln zugerechnet werden kann und dieses individuelle Verhalten fehlerhaft oder fahrlässig war.*)
4. Hat ein Auftragnehmer mit rechtlichen Schritten gedroht oder solche unternommen, die er zu diesem Zeitpunkt aufgrund einer noch ungeklärten Rechtslage für zulässig halten konnte, so ist bei der Prognoseentscheidung im Rahmen einer Ausschlussentscheidung vom öffentlichen Auftraggeber zu Gunsten des Auftragnehmers zu prüfen und zu berücksichtigen, ob dieser einer vertretbaren Rechtsauffassung folgte.*)

VPRRS 2024, 0172

OLG Rostock, Beschluss vom 18.07.2024 - 17 Verg 1/24
1. Das Absehen von der Losaufteilung kommt nur dann in Betracht, wenn sich der Auftraggeber im Einzelnen mit dem grundsätzlichen Gebot der Fachlosvergabe einerseits und den im konkreten Fall dagegen sprechenden Gründen auseinandersetzt und sodann eine umfassende Abwägung der widerstreitenden Belange trifft, als deren Ergebnis die für eine zusammenfassende Vergabe sprechenden technischen und wirtschaftlichen Gründe überwiegen müssen. Objektiv zwingender Gründe für die zusammenfassende Vergabe bedarf es demgegenüber nicht.*)
2. Bei der Prognose der Vor- und Nachteile der Losvergabe, deren Gewichtung und der Abwägung steht dem Auftraggeber ein Beurteilungsspielraum zu.*)
3. Bei der Abwägung der für und gegen die Losaufteilung sprechenden Gründe sind die typischen Vor- und Nachteile mit der vom Gesetzgeber vorgegebenen Gewichtung zu berücksichtigen und um die im Einzelfall bestehenden Besonderheiten zu ergänzen.*)

VPRRS 2024, 0156

VK Niedersachsen, Beschluss vom 13.03.2024 - VgK-2/2024
1. Der öffentliche Auftraggeber nicht nur die Zuschlagskriterien und ihre Gewichtung in der Auftragsbekanntmachung oder den Vergabeunterlagen bekannt zu geben, sondern auch die zur Ausfüllung eines Zuschlagskriteriums aufgestellten Unterkriterien und deren konkrete Gewichtung. Dies gilt auch, wenn der Auftraggeber die Gewichtung von Unterkriterien erst im Nachhinein aufgestellt hat und nicht auszuschließen ist, dass sie die Vorbereitung hätten beeinflussen können.
2. Es unterfällt dem Beurteilungsspielraum des öffentlichen Auftraggebers, wie er die Bewertung organisiert und strukturiert. Allerdings darf die Methode unter Beachtung des Transparenz- und Wettbewerbsgrundsatzes nicht zu einer Abweichung von den zuvor festgelegten Zuschlagskriterien und ihrer Gewichtung führen. Der Auftraggeber darf daher insbesondere keine untaugliche Methode anwenden, seine Bewertungsmethode nicht auf sachwidrige Erwägungen stützen oder unzulässige Kriterien verwenden.

VPRRS 2024, 0155

VG Köln, Urteil vom 14.06.2024 - 16 K 3854/20
1. Das Erfordernis, vor einem geförderten Breitbandausbau ein Markterkundungsverfahren hinsichtlich der Ausbauabsichten privater Unternehmen innerhalb der nächsten drei Jahre durchzuführen, begründet nicht zugleich eine Durchführungsfrist für den Abschluss des Förderverfahrens.*)
2. Rechtsträger eines öffentlich-rechtlichen Zuwendungsvertrags und damit richtiger Beklagter der Nichtigkeitsfeststellungsklage eines Konkurrenten ist nur die die Zuwendung bewilligende Behörde. Eine zugleich gegen den Zuwendungsempfänger gerichtete Feststellungsklage ist insoweit unzulässig.*)

VPRRS 2024, 0152

VK Südbayern, Beschluss vom 06.02.2024 - 3194.Z3-3_01-23-58
1. Der öffentliche Auftraggeber kann auch dann in eine Preisprüfung eintreten, wenn zwar die sog. Aufgreifschwelle nicht erreicht ist, das Angebot aber aus anderen Gründen konkreten Anlass zur Preisprüfung gibt. Entscheidet sich der öffentliche Auftraggeber in einem solchen Fall für eine Preisprüfung, kann diese Entscheidung nur daraufhin geprüft werden, ob sie gegen das Willkürverbot verstößt.
2. Es ist einem Bieter nicht schlechthin verwehrt, einzelne Positionen unter seinen Kosten anzubieten. Dies bedeutet aber nicht, dass der Bieter seine zu deckenden Gesamtkosten nach Belieben einzelnen Positionen des Leistungsverzeichnisses zuordnen darf.
3. Eine Angebotsstruktur, bei der deutlich unter den zu erwartenden Kosten liegenden Ansätzen bei bestimmten Positionen auffällig hohe Ansätze bei anderen Positionen des Leistungsverzeichnisses entsprechen, indiziert eine Preisverlagerung. Kann der Bieter die Indizwirkung nicht erschüttern, rechtfertigt dies die Annahme, dass das Angebot nicht die geforderten Preisangaben enthält und daher auszuschließen ist.
4. Es ist für das Vorliegen einer Mischkalkulation nicht zwingend notwendig, dass der Auftraggeber eine Konnexität zwischen ab- und aufgepreisten Preispositionen nachweist, allerdings muss für den Eintritt der Indizwirkung wenigstens ein logischer Zusammenhang zwischen den Positionen bestehen, der über eine reine Zufälligkeit hinausgeht.
5. Bei Leistungsverzeichnissen mit mehreren hundert Positionen wird jeder Bieter mit hoher Wahrscheinlichkeit in einer oder mehreren Positionen einmal den günstigsten und auch den teuersten Preis im Vergleich aller Bieter anbieten, so dass allein das Vorhandensein von Positionen mit niedrigen und hohen Ansätzen an beliebigen Stellen des Leistungsverzeichnisses noch keine Mischkalkulation mit der Folge der Beweislastumkehr indiziert.

VPRRS 2024, 0149

OLG Rostock, Urteil vom 13.03.2024 - 2 U 10/23
1. Eine privatrechtlich organisierte Wohnungsbaugesellschaft kann Auftraggeberin im Sinne des Vergaberechts sein. Dies gilt insbesondere, wenn ihr wesentliche Aufgaben der Daseinsvorsorge übertragen sind und die Gemeinde sämtliche Geschäftsanteile innehat.*)
2. Der Auftrag der städtischen Wohnungsbaugesellschaft gegenüber einem Dienstleister zur Vorbereitung des Glasfasernetzausbaus von der Netzebene 3 auf die Netzebene 4 durch anlasslose und damit nicht bedarfsabhängige Herstellung der Leitungen vom Glasfaseranschlusspunkt bis zum Etagenverteiler kann ein Auftrag im Sinne des Vergaberechts zur Erteilung einer Dienstleistungskonzession sein, der über die bloße Ausgestaltung der Duldungspflicht nach § 145 Abs. 1 TKG hinausgeht. Er erfordert danach im Unterschwellenbereich wenigstens die Durchführung eines transparenten, diskriminierungsfreien Vergabeverfahrens.*)
3. Im Unterschwellenbereich besteht die Möglichkeit auch nach Zuschlagserteilung im Falle einer sog. De-facto-Vergabe im Wege der einstweiligen Verfügung den Primärrechtsanspruch auf Durchführung eines diskriminierungsfreien Auswahlverfahrens vorläufig zu sichern, wenn hinreichende Anhaltspunkte für ein willkürliches Verhalten des öffentlichen Auftraggebers dargetan und glaubhaft gemacht sind.*)
4. Ein Fall der Selbstwiderlegung der Dringlichkeitsvermutung scheidet aus, wenn dem Antragsteller zuvor notwendige Unterlagen nicht vorlagen und ihm dies aufgrund des Verhaltens des Antragsgegners nicht vorzuwerfen ist.*)
VPRRS 2024, 0143

VK Sachsen, Beschluss vom 25.08.2023 - 1/SVK/019-23
1. Das Gebot der produktneutralen Ausschreibung ist eine der Grundsäulen des diskriminierungsfreien Wettbewerbs. Nach § 7 EU Abs. 2 Satz 1 VOB/A 2019 dürfen grundsätzlich keine bestimmten Erzeugnisse, Verfahren, Ursprungsorte, Typen usw. durch den öffentlichen Auftraggeber vorgegeben werden. Durch diesen Grundsatz wird das Bestimmungsrecht des Auftraggebers eingeschränkt, um eine grundlose Wettbewerbsverengung durch produkt- bzw. herstellerbezogene Leistungsbeschreibungen zu verhindern.*)
2. Eine Ausnahme vom Grundsatz der produktneutralen Ausschreibung ist möglich, wenn dies durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt ist, § 7 EU Abs. 2 Satz 1 VOB/A 2019. Das ist der Fall, wenn vom Auftraggeber nachvollziehbare objektive und auftragsbezogene Gründe angegeben worden sind, die Bestimmung willkürfrei getroffen worden ist, solche Gründe tatsächlich vorhanden sind und die Bestimmung andere Wirtschaftsteilnehmer nicht diskriminiert.*)
3. Die aus dem Auftragsgegenstand abgeleiteten Sachgründe für eine konkrete Produktvorgabe und der Willensbildungsprozess des Auftraggebers müssen in der Vergabeakte nachvollziehbar dokumentiert werden. Aus der Dokumentation müssen sich das Vorhandensein sachlicher Gründe und die daran anknüpfende Entscheidung des Auftraggebers für einen unbefangenen Dritten nachvollziehbar erschließen lassen.*)

VPRRS 2024, 0142

VK Sachsen, Beschluss vom 07.03.2024 - 1/SVK/038-23
1. Der Auftraggeber verfügt bei der Beurteilung der Eignung über einen Beurteilungsspielraum, der nur einer eingeschränkten Kontrolle durch die Nachprüfungsbehörden und Gerichte unterliegt. Die Nachprüfungsinstanzen überprüfen nur, ob der Auftraggeber bei der Eignungsprüfung die Grenzen seines Beurteilungsspielraums überschritten hat. Das ist der Fall, wenn das vorgeschriebene Verfahren nicht eingehalten wurde, von einem unzutreffenden oder nicht vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen worden ist, sachwidrige Erwägungen für die Entscheidung verantwortlich waren oder gegen allgemein gültige Bewertungsgrundsätze verstoßen worden ist.*)
2. Der Auftraggeber darf von den für die Eignung bzw. deren Nachweise bekannt gemachten Vorgaben im weiteren Verlauf des Vergabeverfahrens weder abweichen noch darf er diese ändern. Bezüglich publizierter Mindestanforderungen der Eignung besteht eine Selbstbindung des Auftraggebers. Er darf bei der späteren Eignungsprüfung nicht zu Gunsten eines Bieters auf die Erfüllung der Mindestbedingungen verzichten. Das widerspräche dem Transparenzgrundsatz und dem Gleichbehandlungsgebot.*)
3. Die Bestimmung der Eignungskriterien steht grundsätzlich im Ermessen des öffentlichen Auftraggebers. Sie müssen jedoch mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung und zu diesem in einem angemessenen Verhältnis stehen (§ 122 Abs. 4 Satz 1 GWB).*)

VPRRS 2024, 0141

VK Niedersachsen, Beschluss vom 13.03.2024 - VgK-3/2024
1. Der öffentliche Auftraggeber hat nicht nur die Zuschlagskriterien und ihre Gewichtung in der Auftragsbekanntmachung oder den Vergabeunterlagen bekannt zu geben, sondern auch die zur Ausfüllung eines Zuschlagskriteriums aufgestellten Unterkriterien und deren konkrete Gewichtung.
2. Unterkriterien und deren konkrete Gewichtung sind auch dann bekannt zu geben, wenn der Auftraggeber die Gewichtung von Unterkriterien erst im Nachhinein aufgestellt hat und nicht auszuschließen ist, dass, wären diese bei der Vorbereitung der Angebote bekannt gewesen, sie die Vorbereitung hätten beeinflussen können.
3. Unterkriterien sind solche Kriterien, die der Ausfüllung und näheren Bestimmung eines Hauptkriteriums dienen und präziser darstellen, worauf es dem Auftraggeber ankommt.

VPRRS 2024, 0137

VK Westfalen, Beschluss vom 09.07.2024 - VK 2-17/24
Öffentliche Auftraggeber können eine rechtmäßige Aufhebung grundsätzlich nicht allein auf die Verschiebung der Bauzeit stützen. Selbst durch die unter Umständen veranlassten Preisanpassungen wird der Vertrag grundsätzlich weder erweitert noch dessen wirtschaftliches Gleichgewicht gestört.

VPRRS 2024, 0134

VK Berlin, Beschluss vom 07.11.2023 - VK B 1-15/22
1. Bei der Bewertung von Qualitätskriterien wie Konzepten genießt der öffentliche Auftraggeber einen nur eingeschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraum.
2. Die Grenzen des Beurteilungsspielraums überschreitet die Vergabestelle erst dann, wenn sie entweder ein vorgeschriebenes Verfahren nicht einhält, wenn sie von einem unzutreffenden oder unvollständigen Sachverhalt ausgeht, wenn sachwidrige Erwägungen für die Entscheidung verantwortlich waren oder wenn bei der Entscheidung ein sich sowohl im Rahmen des Gesetzes als auch im Rahmen der Beurteilungsermächtigung haltender Beurteilungsmaßstab nicht zutreffend angewandt wurde.
3. Der öffentliche Auftraggeber hat die Gründe zu dokumentieren, die zur Auswahl des erfolgreichen Angebots führen. Dabei hat er darzulegen, welche konkreten qualitativen Eigenschaften der Angebote mit welchem Gewicht in die Benotung eingegangen sind.
4. Auch wenn einem Unternehmen der für eine substanziierte Rüge notwendige Einblick in das Angebot des Bestbieters regelmäßig fehlt, ist eine rein spekulativ "ins Blaue hinein" abgegebene Rüge unzulässig. Das Unternehmen muss sämtliche ihm offenstehende Erkenntnismöglichkeiten nutzen und darlegen, woraus sich seine Erkenntnisse ergeben.

VPRRS 2024, 0127

VG München, Urteil vom 25.04.2024 - 31 K 21.2797
1. Ein Zuwendungsbescheid kann ganz oder teilweise mit Wirkung für die Vergangenheit widerrufen werden, wenn der Begünstigte gegen vergaberechtliche Vorschriften verstoßen hat, deren Einhaltung im Zuwendungsbescheid wirksam beauflagt wurde.
2. Die Einhaltung der Vergabegrundsätze liegt allein in der Risikosphäre des Zuwendungsempfängers.
3. Für die Feststellung der Vergabeverstöße kommt es nicht auf die Kenntnis des Zuwendungsnehmers hiervon bzw. auf ein entsprechendes Verschulden, sondern lediglich auf die objektive Rechtslage an. Subjektive Merkmale können allenfalls im Rahmen der Ausübung des Widerrufermessens Berücksichtigung finden.

VPRRS 2024, 0125

VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 16.04.2024 - 1 VK 10/24
1. Der Auftraggeber hat ein freies Wahlrecht zwischen einer Leistungsbeschreibung mit Leistungsverzeichnis und einer funktionalen Leistungsbeschreibung.
2. Stehen dem Auftraggeber beide Möglichkeiten der Beschreibung der Leistung gleichrangig zur Verfügung, muss er nicht begründen, warum er die Leistung funktional und nicht detailliert ausschreibt.
3. Setzt der Auftraggeber für die Erstellung statischer Berechnungen etc. keine angemessene Entschädigung fest, muss der Bieter dies rechtzeitig rügen. Andernfalls ist er mit diesem Einwand präkludiert.

VPRRS 2024, 0123

Generalanwalt beim EuGH, Schlussanträge vom 11.04.2024 - Rs. C-28/23
1. Art. 2 Abs. 1 Nr. 6 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.02.2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG ist dahin gehend auszulegen, dass ein Finanzhilfevertrag und ein Verkaufszusagevertrag, die zwischen einer staatlichen Stelle und einem privaten Unternehmen geschlossen werden und in denen dem privaten Unternehmen öffentliche Mittel für den Bau einer Sportinfrastruktur gewährt werden sowie die einseitige Option eingeräumt wird, diese Sportinfrastruktur an den Staat zu verkaufen, nicht als öffentliche Bauaufträge eingestuft werden können, wenn sich aus ihnen keine einklagbare Verpflichtung zum Erwerb der Infrastruktur durch den Staat ergibt und dieser keinen unmittelbaren wirtschaftlichen Nutzen zieht oder er keinen entscheidenden Einfluss auf die Planung des Vorhabens ausgeübt hat. Es obliegt dem vorlegenden Gericht, zu prüfen, ob diese Umstände im vorliegenden Fall gegeben sind.*)
2. Die Mitgliedstaaten sind nicht daran gehindert, gesetzlich vorzusehen, dass ein Urteil Ex tunc Wirkungen zeitigt, mit dem die Unwirksamkeit eines ohne vorherige Ausschreibung vergebenen Bauauftrags festgestellt wird, wenn eine solche zwingend zu erfolgen hatte, da der Vertrag den Vorschriften über das öffentliche Auftragswesen unterlag.*)

VPRRS 2024, 0121

Generalanwalt beim EuGH, Schlussanträge vom 30.05.2024 - Rs. C-677/22
Art. 3 Abs. 5 der Richtlinie 2011/7/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.02.2011 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr ist dahin auszulegen, dass die "ausdrückliche Vereinbarung" einer Zahlungsfrist von mehr als 60 Tagen durch Unternehmer auch in Verträgen zulässig ist, deren Bedingungen von einer der Vertragsparteien allein vorgegeben werden, soweit sich die entsprechende Vertragsbestimmung hinreichend deutlich und unmissverständlich aus den Vertragsunterlagen ergibt, so dass gewährleistet ist, dass die Vertragsparteien sie in vollem Umfang zur Kenntnis genommen haben. Sie darf nicht lediglich durch Auslegung anderer Vertragsbestimmungen oder Deutung des tatsächlichen Verhaltens der Vertragsparteien ermittelt werden.*)

VPRRS 2024, 0112

EuGH, Urteil vom 06.06.2024 - Rs. C-547/22
Art. 2 Abs. 1 c der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21.12.1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge in der durch die Richtlinie 2007/66/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.12.2007 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung oder Praxis entgegensteht, nach der es grundsätzlich ausgeschlossen ist, dass ein aufgrund einer rechtswidrigen Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers von einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags ausgeschlossener Bieter für den Schaden entschädigt wird, der ihm durch den Verlust der Chance entstanden ist, an diesem Verfahren teilzunehmen, um den betreffenden Auftrag zu erhalten.*)

VPRRS 2024, 0106

OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.05.2024 - Verg 33/23
1. Hat ein Bieter oder Bewerber den öffentlichen Auftraggeber vor der Einleitung des Vergabeverfahrens beraten oder unterstützt, hat der Auftraggeber sicherzustellen, dass der Wettbewerb durch die Teilnahme des Bieters nicht verfälscht wird. Er hat sicherzustellen, dass der Wettbewerb durch die Teilnahme eines vorbefassten Bieters nicht verfälscht wird.
2. Es liegt im pflichtgemäßen Ermessen des öffentlichen Auftraggebers, welche Maßnahmen er zur Herstellung eines fairen Wettbewerbs ergreift und unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls zu bewerten, ob bei einer Beteiligung des Projektanten der Grundsatz des fairen Wettbewerbs gewahrt wird.

VPRRS 2024, 0103

VK Rheinland, Beschluss vom 08.05.2024 - VK 12/24
1. Gemäß § 106 Abs. 1 GWB gilt der das Verfahren vor den Vergabekammern regelnde Vierte Teil des GWB nur für Vergaben, deren geschätzter Auftragswert die EU-Schwellenwerte erreicht bzw. überschreitet.*)
2. Die Kostenschätzung des Auftraggebers muss auf ordnungsgemäß und sorgfältig ermittelten Grundlagen beruhen. Diesen Anforderungen entspricht die Kostenschätzung des Antragsgegners, er hat seine Auftragswert-Schätzung auf ein im Vorfeld der Ausschreibung durch einen auf Betonsanierung spezialisierten Fachingenieur erstelltes, anhand der aktuellen Marktpreise bepreistes Leistungsverzeichnis gestützt.*)
3. Ein Indiz dafür, dass der als unter dem Schwellenwert liegende Wert wirklichkeitsnah ist, ergibt sich aus den Netto-Angebotssummen, die die Bieter benannt haben.*)
4. Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 VgV ist bei der Schätzung des Auftragswerts vom voraussichtlichen Gesamtwert der vorgesehenen Leistung ohne Umsatzsteuer auszugehen. Maßgeblicher Grundsatz für die schätzweise Gesamtermittlung ist eine funktionelle Betrachtungsweise.*)
5. Im Hinblick auf die Schätzung eines Auftragswerts ist eine Aufteilung nicht gerechtfertigt, wenn die aufgeteilte Leistung im Hinblick auf ihre technische und wirtschaftliche Funktion einen einheitlichen Charakter aufweist. Ein solcher Zusammenhang liegt z. B. vor, wenn Baumaßnahmen ohne jeweils andere Bauabschnitte keine sinnvolle Funktion erfüllen können. Er besteht jedoch z. B. nicht, wenn spätere Ausbauarbeiten erst in Planung sind und/oder ihre künftige Ausführung ungewiss ist.*)
6. Auch bei komplexen Bauvorhaben, die in verschiedenen Phasen realisiert werden, handelt es sich dann nicht um ein Gesamtbauwerk, wenn die unterschiedlichen baulichen Anlagen ohne Beeinträchtigung ihrer Vollständigkeit und Benutzbarkeit auch getrennt voneinander errichtet werden können.*)

VPRRS 2024, 0102

VK Bund, Beschluss vom 28.03.2024 - VK 2-25/24
1. Gibt der Auftraggeber in der Auftragsbekanntmachung vor, dass bei Angebotsabgabe diejenigen Leistungen offenzulegen sind, bei denen ein Nachunternehmen eingesetzt werden soll, weicht ein Angebot mit der Formulierung "gegebenenfalls Untervergabe" von den Vergabeunterlagen ab, weil offenbleibt, ob und unter welchen Voraussetzungen Nachunternehmen eingesetzt werden.
2. Eine leistungsbezogene Unterlage fehlt, wenn sie entweder körperlich nicht vorhanden ist oder so schwere äußere Mängel aufweist, dass sie für den vorgesehenen Zweck unbrauchbar ist.
3. Eine Unterlage fehlt nicht, wenn sie körperlich vorhanden und auch vollständig ist, ihr Inhalt aber nicht den Erklärungs- oder Beweiswert hat, den er nach den Vorgaben des Auftraggebers haben sollte.
4. Legt der Bieter ein Zertifikat vor, das nicht auf der vom Auftraggeber geforderten, sondern auf einer anderen Grundlage ausgestellt worden ist, ist das eingereichte Zertifikat vollständig, so dass eine Nachforderung nicht in Betracht kommt.

VPRRS 2024, 0099

OLG Stuttgart, Urteil vom 16.05.2024 - 2 U 146/22
Ein nicht zur Irrtumsanfechtung berechtigender Kalkulationsirrtum liegt vor, wenn der Irrtum bei der Kalkulation der Einheitspreise für ein Gebot in einem Vergabeverfahren entstanden ist.*)

VPRRS 2024, 0096

VK Bund, Beschluss vom 29.02.2024 - VK 1-12/24
1. Der öffentliche Auftraggeber kann ein Unternehmen von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen, wenn das Unternehmen eine wesentliche Anforderung bei der Ausführung eines früheren öffentlichen Auftrags erheblich oder fortdauernd mangelhaft erfüllt und dies zu einer vorzeitigen Beendigung, zu Schadensersatz oder zu einer vergleichbaren Rechtsfolge geführt hat.
2. Der Begriff der mangelhaften Erfüllung ist nicht streng zivilrechtlich zu interpretieren. Er ist vielmehr umfassend im Sinne einer nicht vertragsgerechten Erfüllung zu verstehen und erfasst sowohl vertragliche Haupt- als auch Nebenpflichten.
3. Eine erhebliche Vertragspflichtverletzung liegt vor, wenn die mangelhafte Leistung den öffentlichen Auftraggeber in tatsächlicher und finanzieller Hinsicht deutlich belastet.
4. Eine wesentliche Anforderung ist berührt, wenn es sich um eine wesentliche vertragliche Pflichtverletzung wie ein Lieferungs- oder Leistungsausfall handelt, wobei auch ein Verstoß gegen wesentliche Nebenpflichten in Betracht kommen kann.
5. Als vergleichbare Rechtsfolge kommen beispielsweise ein Rücktritt, eine Ersatzvornahme nach erfolgloser Fristsetzung, eine Minderung der Vergütung, aber auch das Verlangen umfangreicher Nachbesserungen in Betracht. Nicht erforderlich ist, dass die Berechtigung der aus der Vertragspflichtverletzung gezogenen Rechtsfolge gerichtlich bestätigt wurde.
6. Der Auftraggeber hat im Rahmen der von ihm zutreffenden Ermessensentscheidung den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten. Als Maßstab für die Ausschlussentscheidung ist von einem schwerwiegenden beruflichen Fehlverhalten auszugehen, das die Integrität des Unternehmens infrage stellen und dazu führen kann, dass es - auch wenn er ansonsten über die technische und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit verfügen würde - als für die Vergabe eines öffentlichen Auftrags ungeeignet betrachtet wird.
