Vergabepraxis & -recht.
Hervorzuhebende Urteile zu Gesundheit
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VPRRS 2023, 0230VK Südbayern, Beschluss vom 26.06.2023 - 3194.Z3-3_01-23-9
1. Auch ein Auftraggeber, der Leistungen der Daseinsvorsorge zu erbringen hat, die nicht unterbrochen werden dürfen, darf keine Direktvergabe der Interimsleistungen nach § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV an einen Wirtschaftsteilnehmer durchführen, wenn er die Dringlichkeit durch den Versuch, während eines laufenden Nachprüfungsverfahrens vollendete Tatsachen zu schaffen, selbst aktiv herbeigeführt hat.*)
2. Im Falle der bestandskräftigen Feststellung der Nichtigkeit eines unter Verstoß gegen die Verpflichtung zur Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union geschlossenen Vertrags durch die Nachprüfungsinstanzen darf ein öffentlicher Auftraggeber die rechtswidrig beschafften Lieferungen nicht einfach behalten oder benutzen, sondern hat den Vertrag rückabzuwickeln.*)
3. Eine Direktvergabe von Interimsleistungen darf nicht dazu führen, dass die Rückabwicklungsverpflichtung aus einem bestandskräftigen Beschluss der Vergabekammer nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB, in dem die Nichtigkeit des geschlossenen Vertrags festgestellt wurde, umgangen und der obsiegende Antragsteller faktisch rechtsschutzlos gestellt wird.*)
VolltextVPRRS 2023, 0207
VK Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 05.01.2022 - 1 VK 6/21
1. Der öffentliche Auftraggeber kann Aufträge im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb vergeben, wenn äußerst dringliche, zwingende Gründe im Zusammenhang mit unvorhersehbaren Ereignissen es nicht zulassen, die Mindestfristen einzuhalten, die für das offene und das nichtoffene Verfahren sowie für das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb vorgeschrieben sind. Das "Großereignis" Corona-Pandemie ist ein unvorhersehbares Ereignis in diesem Sinn.
2. Äußerst dringliche Gründe liegen vor, wenn der Grad der Dringlichkeit so hoch ist, dass selbst die auf ein zulässiges Maß verkürzten Teilnahme- und Angebotsfristen zu lang sind, um den Beschaffungsbedarf zu decken.
3. In den Bereichen der Daseinsvorsorge und der Gefahrenabwehr kann die Dringlichkeit für eine gewisse Zeit auch dann gegeben sein kann, wenn sie im Übrigen auf vom Auftraggeber zu vertretenden Umständen beruht.
VolltextVPRRS 2023, 0113
VK Nordbayern, Beschluss vom 23.03.2023 - RMF-SG21-3194-8-6
1. Leistungen sind in Losen zu vergeben. Hiervon kann ausnahmsweise dann abgesehen werden, wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern.
2. Voraussetzung für eine Vergabe in Losen ist, dass die ausgeschriebene Leistung losweise vergeben werden kann. Für diese Feststellung ist insbesondere von Belang, ob sich für die spezielle Leistung ein eigener Anbietermarkt mit spezialisierten Fachunternehmen herausgebildet hat. Dabei sind die aktuellen Marktverhältnisse von wesentlicher Bedeutung.
3. Die Frage, ob technische oder wirtschaftliche Gründe es "erfordern", von einer Losbildung abzusehen, setzt eine Bewertung des Auftraggebers voraus.
4. Die Überprüfung erfolgt anhand der im Vergabevermerk zeitnah dokumentierten Abwägung.
VolltextVPRRS 2023, 0077
VK Bund, Beschluss vom 27.02.2023 - VK 2-8/23
1. Die Veröffentlichung beantworteter Bieterfragen kann zu Unklarheiten über die genauen Anforderungen der Leistungsbeschreibung bzw. zu einem Widerspruch zwischen dem Leistungsverzeichnis und den Antworten auf Bieterfragen führen.
2. Unklar bzw. widersprüchlich ist die Ausschreibung, wenn fachkundigen Unternehmen auch nach Auslegungsbemühungen mehrere Auslegungsmöglichkeiten verbleiben.
3. Kommen nach einer Auslegung der Vergabeunterlagen bzw. der Antworten auf Bieterfragen mehrere Verständnismöglichkeiten in Betracht oder können die Unklarheiten oder Widersprüche nicht aufgelöst werden, geht dies zu Lasten des öffentlichen Auftraggebers.
VolltextVPRRS 2023, 0075
VK Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 16.12.2022 - VK 1-4/22
1. Ein öffentlicher Auftrag ist von Anfang an unwirksam, wenn der öffentliche Auftraggeber den Auftrag ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union vergeben hat, ohne dass dies aufgrund Gesetzes gestattet, und dieser Verstoß in einem Nachprüfungsverfahren festgestellt worden ist.
2. Sämtliche Ausnahmen vom vorrangig durchzuführenden offenen oder nichtoffenen Verfahren sind grundsätzlich eng auszulegen. Dies gilt erst recht, wenn nur mit einem Unternehmen verhandelt werden soll, die Vergabe also nicht im Wettbewerb erfolgt.
3. Die Durchführung eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb erfordert das objektive Fehlen von Wettbewerb. Der vom Auftraggeber zu führende Nachweis des objektiven Fehlens von Wettbewerb muss durch eine umfassende Marktanalyse auf europäischer Ebene erfolgen.
4. Die ordnungsgemäße Marktuntersuchung muss zwingend vor der Festlegung der Wahl der Verfahrensart und der Entscheidung, nur ein Unternehmen zur Angebotsabgabe aufzufordern, erfolgen.
VolltextVPRRS 2023, 0007
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 01.12.2021 - Verg 53/20
1. Der Grundsatz der Gleichbehandlung der Bieter gebietet, dass alle Bieter bei der Abfassung ihrer Angebote die gleichen Chancen haben, was voraussetzt, dass die Angebote aller Wettbewerber den gleichen Bedingungen unterworfen sein müssen.
2. Eine Differenzierung nach Herkunftsstaaten, bei denen Bieter, die in bestimmten Herkunftsstaaten produzieren, einen Wirtschaftlichkeitsbonus erhalten, begegnet grundlegenden Bedenken, weil diese Bieter nicht den gleichen Bedingungen unterworfen sind.
3. Eine Ungleichbehandlung allein wegen des Herkunftsstaates gestatten - von einigen Ausnahmen abgesehen - weder das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen noch die für dessen Auslegung relevanten europäischen Richtlinien.
VolltextOnline seit 2022
VPRRS 2022, 0257VK Südbayern, Beschluss vom 16.05.2022 - 3194.Z3-3_01-21-62
1. Beantwortet ein öffentlicher Auftraggeber eine Bieterfrage nicht eindeutig, so kann ein Bieter, der in seinem Angebot eine vertretbare Interpretation der Antwort berücksichtigt, nicht wegen Änderungen der Vergabeunterlagen ausgeschlossen werden.*)
2. Die Vergabekammer hält für mit elektronischen Mitteln nach § 10 und § 11 VgV geführte Vergabeverfahren nicht mehr an ihrer im Beschluss vom 02.01.2018 (IBR 2018, 343, zu einem in Papier durchgeführten Vergabeverfahren) geäußerten Rechtsauffassung fest. Durch die Nutzung von Vergabeplattformen zur Angebotsabgabe und Angebotseröffnung, aufgrund der umfassenden elektronischen Protokollierung der Angebotsschritte ist die Gefahr von Manipulationen verschwindend gering.*)
VolltextVPRRS 2022, 0222
VK Nordbayern, Beschluss vom 31.05.2022 - RMF-SG21-3194-7-13
1. Eine Bewertungsmethodik kann vergaberechtlich nur beanstandet werden, wenn diese sich als mit dem gesetzlichen Leitbild des Vergabewettbewerbs unvereinbar erweist.
2. Dies ist insbesondere der Fall, wenn die Bewertungsmethodik nicht geeignet ist, den Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot zu erteilen, insbesondere nicht geeignet ist, eine Angebotswertung gemäß den bekannt gegebenen Zuschlagskriterien und deren vorgesehener Gewichtung vorzunehmen. Das wird angenommen, wenn die Bewertungsmethodik sich wettbewerbsverzerrend auswirkt.
3. Die Zuschlagskriterien müssen so festgelegt und bestimmt sein, dass die Möglichkeit eines wirksamen Wettbewerbs gewährleistet wird, der Zuschlag nicht willkürlich erteilt werden kann und eine wirksame Überprüfung möglich ist, ob und inwieweit die Angebote die Zuschlagskriterien erfüllen. Das bedeutet, dass die Kriterien klar und eindeutig zu formulieren sind.
4. Der Begriff des Beschaffungsdienstleisters ist weit zu verstehen und erfasst auch den Rechtsanwalt der Vergabestelle, der bei der Durchführung des Vergabeverfahrens den Auftraggeber berät. Mitwirken ist das aktive Tätigwerden für den Auftraggeber.
5. Ein Interessenkonflikt besteht für Personen, die an der Durchführung des Vergabeverfahrens beteiligt sind oder Einfluss auf den Ausgang eines Vergabeverfahrens haben können und die ein direktes oder indirektes finanzielles, wirtschaftliches oder persönliches Interesse haben, das ihre Unparteilichkeit und Unabhängigkeit im Rahmen des Vergabeverfahrens beeinträchtigen könnte.
6. Ein Interessenkonflikt wird vermutet, wenn die Verfahrensbevollmächtigten der Vergabestelle einen Bieter beraten bzw. sonst unterstützen. Dabei genügt eine aktuelle Beratungstätigkeit für den Bieter. Auf eine konkrete mandatsbezogene Tätigkeit im konkreten Vergabeverfahren kommt es nicht an.
VPRRS 2022, 0186
VK Bund, Beschluss vom 03.05.2022 - VK 1-27/22
1. Es gibt für öffentliche Auftraggeber keinen Kontrahierungszwang, d. h. ein öffentlicher Auftraggeber ist nicht gezwungen, ein einmal eingeleitetes Vergabeverfahren mit einem Zuschlag zu beenden.
2. Ein Vergabeverfahren kann nicht nur dann wirksam aufgehoben werden, wenn ein in der einschlägigen Vergabeverordnung ausdrücklich normierter Ausschlussgrund vorliegt, sondern immer schon dann, wenn die Aufhebung sachlich gerechtfertigt ist.
3. Eine erhebliche Veränderung des Beschaffungsbedarfs stellt einen sachlichen Aufhebungsgrund dar. Ein öffentlicher Auftraggeber kann nicht dazu gezwungen werden, "an seinem tatsächlichen Bedarf vorbei" an einem eingeleiteten Vergabeverfahren festzuhalten.
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