Vergabepraxis & -recht.

Aktuelle Urteile zu Dienstleistungen
Online seit gestern
VPRRS 2025, 0094
VK Sachsen, Beschluss vom 19.12.2024 - 1/SVK/017-24
1. Ein öffentlicher Auftraggeber darf sich grundsätzlich auf die Angaben der Bieter und die von ihnen in ihren Angeboten abgegebenen Leistungsversprechen verlassen. Nur wenn sich Zweifel ergeben, die das Leistungsversprechen eines Bieters als nicht plausibel erscheinen lassen, und Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Bieter die vom Auftraggeber vorgegebenen Anforderungen möglicherweise nicht erfüllen kann, ist der Auftraggeber verpflichtet, Aufklärung zu verlangen und die ausreichende Leistungsfähigkeit des Bieters durch Einholung weiterer Informationen zu prüfen.*)
2. Der Gleichbehandlungsgrundsatz gebietet es, dass ein Auftraggeber regelmäßig jede Auskunft, die er einem anfragenden Bieter erteilt, auch allen anderen Bietern erteilt. Andernfalls läuft der Auftraggeber Gefahr, gegen das Gebot der Gleichbehandlung und Chancengleichheit aller Bieter zu verstoßen. Ein Auftraggeber darf eine Bieterfrage allenfalls im Einzelfall individuell beantworten, wenn es sich nicht um eine zusätzliche sachdienliche Information handelt.*)
3. Der Umstand, dass ein Bieter selbst eine Bieterfrage gestellt hat und als einziger eine Antwort erhalten hat, lässt eine Rechtsverletzung nicht entfallen. Denn es kann jedenfalls nicht ausgeschlossen werden, dass dieser Bieter durch die Berücksichtigung der ihm erteilten Antwort auf seine Bieterfrage einen Wettbewerbsnachteil erlitten hat, während andere Bieter, denen die Antwort nicht bekannt war, die Vorgabe nicht beachtet haben und dadurch günstiger anbieten konnten bzw. einen Wettbewerbsvorteil erlangen.*)
4. Eine Preisprüfung ist durchzuführen, wenn der Preisabstand zum nächsthöheren Angebot 20 % oder mehr beträgt. Dabei ist auf die Differenz des Gesamtpreises und nicht auf einzelne Preispositionen abzustellen.*)

Online seit 7. Mai
VPRRS 2025, 0092
VK Thüringen, Beschluss vom 12.03.2025 - 5090-250-4003/499
1. Die künstliche Aufspaltung von eines einheitlichen (Interims-)Beschaffungsbedarfs, sei es durch mehrere Interimsaufträge, sei es durch eine Kombination aus Vertragsverlängerungen und (neuen) Interimsaufträgen, verstößt gegen das Umgehungsverbot mit der Folge, dass die Auftragswerte zu addieren sind.
2. Es ist nicht zulässig, wenn der Auftraggeber in der Auftragsbekanntmachung hinsichtlich der vorzulegenden Eignungsunterlagen lediglich auf die Vergabeunterlagen verweist. Eine konkrete Verlinkung auf ein elektronisch ohne Weiteres zugängliches Dokument ist dagegen ausreichend, wenn an dem Auftrag interessierte Unternehmen durch bloßes Anklicken zu dem verlinkten Formblatt gelangen können und auf einen Blick erkennen können, welche Anforderungen an sie gestellt werden.
3. Aus dem Transparenz- und Gleichbehandlungsgrundsatz resultiert grundsätzlich die Verpflichtung, Antworten auf Bieterfragen allen Bietern zur Verfügung zu stellen.
4. Bei der Festlegung des Auftragsbeginns handelt es sich grundsätzlich um eine Vertragsbestimmung und nicht um eine Vorschrift über das Vergabeverfahren, deren Verletzung im Nachprüfungsverfahren zur Überprüfung steht. Etwas anderes gilt dann, wenn sich eine Vertragsbestimmung auf die Auftragschancen eines Bieters auswirkt (hier bejaht für eine dreitägigen Ausführungsfrist).

Online seit 6. Mai
VPRRS 2025, 0089
EuGH, Urteil vom 20.03.2025 - Rs. C-728/22
1. Die Richtlinie 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.02.2014 über die Konzessionsvergabe ist dahin auszulegen, dass sie in zeitlicher Hinsicht auf Konzessionsverträge im Sinne ihres Art. 5 Abs. 1 Buchst. b anwendbar ist, die vor dem Inkrafttreten der Richtlinie 2014/23 vergeben, aber durch Gesetzesbestimmungen verlängert wurden, mit denen zulasten der betreffenden Konzessionsnehmer im Gegenzug erstens eine Verpflichtung zur Zahlung einer monatlichen Gebühr eingeführt wurde, die anschließend erhöht wurde, zweitens den betreffenden Konzessionsnehmern die Verlegung ihrer Räumlichkeiten untersagt wurde sowie drittens eine Verpflichtung zulasten der betreffenden Konzessionsnehmer eingeführt wurde, diesen Verlängerungen zuzustimmen, um an jedwedem zukünftigen Verfahren zur Neuvergabe dieser Konzessionen teilnehmen zu dürfen, sofern diese Gesetzesbestimmungen selbst nach Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie 2014/23 in Kraft getreten sind. In einer solchen Situation sind die Art. 49 und 56 AEUV dahin auszulegen, dass sie keine Anwendung finden.*)
2. Art. 43 der Richtlinie 2014/23 ist dahin auszulegen, dass er einer Befugnis des nationalen Gesetzgebers entgegensteht, durch Gesetzesbestimmungen, die nach Ablauf der Frist für die Umsetzung der Richtlinie 2014/23 in Kraft getreten sind, einseitig die Laufzeit von Dienstleistungskonzessionen zu verlängern und dabei im Gegenzug erstens eine pauschal festgesetzte Gebühr zu erhöhen, die von allen betroffenen Konzessionsnehmern umsatzunabhängig geschuldet wird, zweitens ein Verbot der Verlegung ihrer Räumlichkeiten aufrechtzuerhalten sowie drittens eine Verpflichtung beizubehalten, nach der diese Konzessionsnehmer diesen Verlängerungen zustimmen müssen, um an jedwedem zukünftigen Verfahren zur Neuvergabe dieser Konzessionen teilnehmen zu dürfen, sofern diese Änderungen, in ihrer Gesamtheit betrachtet, nicht die Anwendungsvoraussetzungen von Art. 43 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2014/23 erfüllen.*)
3. Die Art. 5 und 43 der Richtlinie 2014/23 sind dahin auszulegen, dass sie einer Auslegung oder Anwendung innerstaatlicher gesetzlicher Vorschriften oder einer auf diesen Vorschriften beruhenden Anwendungspraxis nicht entgegenstehen, die dem öffentlichen Auftraggeber die Befugnis nimmt, auf Antrag eines Konzessionsnehmers, wenn Ereignisse, die den Parteien nicht zurechenbar sowie unvorhersehbar sind, sich wesentlich auf das Betriebsrisiko der Konzession auswirken, ein Verwaltungsverfahren zur Änderung der Ausführungsbedingungen der betreffenden Konzession einzuleiten, solange diese Voraussetzungen gegeben sind und dies erforderlich ist, um gegebenenfalls die ursprünglichen Ausführungsbedingungen dieser Konzession wiederherzustellen.*)

Online seit 30. April
VPRRS 2025, 0087
EuGH, Urteil vom 29.04.2025 - Rs. C-452/23
Art. 43 Abs. 1 c Richtlinie 2014/23/EU ist dahin auszulegen, dass
- unter den in dieser Bestimmung vorgesehenen Voraussetzungen eine Konzession auch dann ohne Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens geändert werden kann, wenn sie ursprünglich ohne Ausschreibung an eine In-House-Einrichtung vergeben wurde und ihr Gegenstand zu einem Zeitpunkt geändert wird, zu dem der Konzessionsnehmer keine In-House-Einrichtung mehr ist;
- er die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet, sicherzustellen, dass die nationalen Gerichte inzident und auf Antrag die Rechtmäßigkeit der ursprünglichen Vergabe einer Konzession anlässlich einer Klage auf Nichtigerklärung einer Änderung der Konzession überprüfen, wenn die Klage nach Ablauf aller Fristen, die im nationalen Recht in Anwendung von Art. 2f Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21.12.1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge in der durch die Richtlinie 2014/23/EU geänderten Fassung für die Anfechtung dieser ursprünglichen Vergabe vorgesehen sind, von einem Wirtschaftsteilnehmer erhoben wird, der ein Interesse daran nachweist, dass allein der Teil dieser Konzession, der Gegenstand der Änderung ist, an ihn vergeben wird;
- die Änderung einer Konzession i.S.v. Art. 43 "erforderlich wurde", wenn unvorhersehbare Umstände eine Anpassung der ursprünglichen Konzession erfordern, um sicherzustellen, dass sie weiterhin ordnungsgemäß ausgeführt werden kann.

Online seit 23. April
VPRRS 2025, 0082
VK Sachsen, Beschluss vom 09.09.2024 - 1/SVK/022-24G
1. Ein zugunsten der Vorabgestattung des Zuschlags streitender Abwägungsaspekt stellt die Verhinderung von Versorgungslücken im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge dar.*)
2. Insbesondere eine Interimsvergabe durch den Auftraggeber kann geeignet sein, eine vorübergehende Versorgungslücke unter weitgehender Schonung des Interesses an effektivem Primärrechtsschutz zu schließen, weil befristete Interimsvergaben in der Regel dem Zweck dienen, eine Lücke zu schließen, die durch ein Zuschlagsverbot infolge eines Nachprüfungsverfahrens entsteht.*)
3. Im Rahmen von Interimsvergabeverfahren betreffend Dienstleistungen der Daseinsvorsorge ist die Frage der Verursachung der Dringlichkeit nicht allein entscheidungserheblich. Die Dringlichkeit kann für eine gewisse Zeit - interimsweise -auch dann generell gegeben sein, wenn sie auf von dem Auftraggeber zu vertretenden Umständen beruht. Die zeitlich beschränkte Interimsvergabe ist somit selbst dann grundsätzlich zulässig, wenn die Gründe für die Dringlichkeitssituation in der Sphäre des Auftraggebers liegen. Der Aspekt der Zurechenbarkeit und Vorhersehbarkeit der Dringlichkeit tritt in diesen Fällen meist hinter die Notwendigkeit der Kontinuität der Versorgungsleistung zurück.*)

Online seit 15. April
VPRRS 2025, 0081
VK Sachsen, Beschluss vom 21.01.2025 - 1/SVK/022-24
1. Ein öffentlicher Auftraggeber darf sich grundsätzlich auf die Angaben der Bieter und die von ihnen in ihren Angeboten abgegebenen Leistungsversprechen verlassen. Nur wenn sich Zweifel ergeben, die das Leistungsversprechen eines Bieters als nicht plausibel erscheinen lassen, und Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Bieter die vom Auftraggeber vorgegebenen Anforderungen möglicherweise nicht erfüllen kann, ist de Auftraggeber verpflichtet, Aufklärung zu verlangen und die ausreichende Leistungsfähigkeit des Bieters durch Einholung weiterer Informationen zu prüfen.*)
2. Der Gleichbehandlungsgrundsatz gebietet es, dass ein Auftraggeber regelmäßig jede Auskunft, die er einem anfragenden Bieter erteilt, auch allen anderen Bietern erteilt. Andernfalls läuft der Auftraggeber Gefahr, gegen das Gebot der Gleichbehandlung und Chancengleichheit aller Bieter zu verstoßen. Ein Auftraggeber darf eine Bieterfrage allenfalls im Einzelfall individuell beantworten, wenn es sich nicht um eine zusätzliche sachdienliche Information handelt.*)
3. Der Umstand, dass ein Bieter selbst eine Bieterfrage gestellt hat und als einziger eine Antwort erhalten hat, lässt eine Rechtsverletzung nicht entfallen. Denn es kann jedenfalls nicht ausgeschlossen werden, dass dieser Bieter durch die Berücksichtigung der ihm erteilten Antwort auf seine Bieterfrage einen Wettbewerbsnachteil erlitten hat, während andere Bieter, denen die Antwort nicht bekannt war, die Vorgabe nicht beachtet haben und dadurch günstiger anbieten konnten bzw. einen Wettbewerbsvorteil erlangen.*)
4. Eine Preisprüfung ist durchzuführen, wenn der Preisabstand zum nächsthöheren Angebot 20% oder mehr beträgt. Dabei ist auf die Differenz des Gesamtpreises und nicht auf einzelne Preispositionen abzustellen.*)
5. Über die Kosten des Eilverfahrens (Antrag auf vorzeitige Zuschlagsgestattung) wird im Hauptsacheverfahren entschieden. Es löst gesonderte Vergabekammergebühren aus, über die getrennt und unabhängig davon zu entscheiden ist, wer die Kosten in der Hauptsache trägt. Dabei ist anerkannt, dass die Kostenlast für das Eilverfahren und den Nachprüfungsantrag in der Hauptsache unterschiedliche Beteiligte treffen kann.*)
6. Für die Kosten des Eilverfahrens nach § 169 Abs. 2 Satz 1 GWB (Antrag auf vorzeitige Zuschlagsgestattung) gelten die gleichen Grundsätze wie für die Kosten des Nachprüfungsverfahrens in der Hauptsache. Die Frage der Verteilung der Kosten des Eilverfahrens richtet sich daher konkret nach den §§ 182 Abs. 3 Satz 1 GWB analog, der bestimmt, dass soweit ein Beteiligter im Verfahren unterliegt, er die Kosten zu tragen hat.*)
