Vergabepraxis & -recht.
Aktuelle Urteile zu Dienstleistungen
Online seit heute
VPRRS 2024, 0108BayObLG, Beschluss vom 29.05.2024 - Verg 16/23
1. Erläutert ein Bieter im Zuge eines Aufklärungsersuchens bei einer funktional beschriebenen, täglich über mehrere Jahre zu erbringenden Leistung den vorgesehenen technischen Ablauf im Vorfeld der Anlieferung (hier: Produktion und Transport vom Speisen), rechtfertigen zwischenzeitliche Modifikationen im Konzept nicht ohne Weiteres einen Angebotsausschluss nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV oder § 15 Abs. 5 Satz 2 VgV. Es hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, ob darin eine unzulässige nachträgliche Angebotsänderung zu sehen ist.*)
2. a) Die Vorgabe in der Leistungsbeschreibung, wonach der Bieter bei der Erbringung der Leistung alle einschlägigen DIN-Vorschriften und vergleichbaren Vorgaben einzuhalten und sicherzustellen hat, dass sich die eingesetzten Sachmittel in technisch einwandfreien Zustand befinden und einschlägigen Regelwerken entsprechen, verpflichtet die Vergabestelle nicht zu einer lückenlosen, jede Sachverhaltsvariante abdeckenden Überprüfung der Einhaltung aller nur denkbaren Normen und Vorschriften.*)
b) Die Vergabestelle darf bei der Beurteilung, ob der Bieter sein Leistungsversprechen einhalten kann, dessen plausible Erläuterungen sowie Bescheinigungen bzw. Bestätigungen von Fachunternehmen und Behörden heranziehen, denen sie nicht grundlos misstrauen muss.*)
3. Ein innovatives Konzept eines Bieters muss im Nachprüfungsverfahren nicht in allen Einzelheiten offengelegt werden, nur weil der Zweitbieter bezweifelt, dass sein Konkurrent sämtliche in Betracht kommenden Vorschriften bzw. Normen einzuhalten vermag. Legt ein Bieter im Zuge einer Aufklärung Bescheinigungen von Fachunternehmen sowie Bestätigungen vor Fachbehörden vor, wonach er sich regelkonform verhält, genügt nicht, dass ein Zweitbieter ohne konkrete Anhaltspunkte denkbare Normverstöße in den Raum stellt oder darauf verweist, dass eine noch genauere Prüfung möglich wäre, um die Notwendigkeit weiterer Aufklärung darzutun.*)
4. Auch die Verletzung vertraglicher Verpflichtungen kann eine schwere berufliche Verfehlung nach § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB darstellen, wenn sie eine solche Intensität und Schwere aufweist, dass der öffentliche Auftraggeber berechtigterweise an der Integrität des Unternehmens zweifeln darf.*)
5. Ob im Zeitpunkt des Ausschlusses nach § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB nachweislich eine schwere berufliche Verfehlung vorlag, ist durch die Nachprüfungsinstanzen voll überprüfbar. Insoweit steht dem Auftraggeber (anders als bei der Prüfung mit prognostischem Charakter, ob die festgestellte schwere Verfehlung die Integrität des Bieters in Frage stellt und eine positive Vertragserfüllung zu erwarten ist) kein Beurteilungsspielraum zu. Zu überprüfen ist dabei, ob im Rahmen der auch dem Auftraggeber zumutbaren Aufklärung unter Berücksichtigung objektiver Anhaltspunkte wie schriftlich fixierter Zeugenaussagen, sonstiger Aufzeichnungen, Belege, Schriftstücke oder ähnlichem von einer nachweisbar schweren Verfehlung auszugehen ist. Regelmäßig sind aber weder der Auftraggeber noch die Nachprüfungsinstanzen verpflichtet, zur Abklärung, ob eine schwere Verfehlung nachweisbar ist, umfassende Beweisaufnahmen durch Zeugenvernehmungen oder Erholung von Sachverständigengutachten durchzuführen.*)
6. Ein Bieter kann auch dann nicht mehr wegen einer schweren beruflichen Verfehlung nach § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB ausgeschlossen werden, wenn die Frist des § 126 Nr. 2 GWB zwar nicht schon bei Angebotsabgabe verstrichen war, aber während des weiteren Vergabe- bzw. Nachprüfungsverfahrens abläuft.*)
VolltextOnline seit 4. Juni
VPRRS 2024, 0105OLG Celle, Urteil vom 30.04.2024 - 13 U 34/23
1. Dem in einem Verfahren zur Konzessionsvergabe nach § 46 EnWG unterlegenen Bieter steht gem. § 33 Abs. 1, 2, § 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 GWB kein Anspruch auf gerichtliche Untersagung des Abschlusses eines Wegenutzungsvertrags allein wegen einer unterbliebenen oder unzureichend gewährten Akteneinsicht gem. § 47 Abs. 3 Satz 1 EnWG zu. Die unterbliebene oder unzureichend gewährte Akteneinsicht kann im Verfahren gem. § 47 Abs. 5 EnWG nicht im Wege einer eigenständigen Rüge, sondern lediglich als Transparenzmangel der Auswahlentscheidung geltend gemacht werden (Abgrenzung von KG, Urteil vom 24.09.2020 - 2 U 93/19, VPRRS 2021, 0010).*)
2. Bei der Untersagung des Abschlusses eines Stromkonzessionsvertrags bis zur Gewährung ausreichender Akteneinsicht gem. § 47 Abs. 3 Satz 1 EnWG handelt es sich um einen anderen Streitgegenstand als bei einer Untersagungsverfügung, die auf eine fehlerhafte Auswahlentscheidung der Gemeinde gestützt wird.*)
3. Hat das erstinstanzliche Gericht ausdrücklich keine der gegen die Auswahlentscheidung erhobenen materiellen Rügen geprüft, sondern eine Untersagung der Konzessionsvergabe schon und allein wegen der nach seiner Auffassung unzureichenden Akteneinsicht für gerechtfertigt gehalten, kann in dem von der Gemeinde angestrengten Berufungsverfahren die Auswahlentscheidung nicht erstmals auf die von dem unterlegenen Bieter gerügten Fehler geprüft werden, wenn dieser keine (Anschluss-)Berufung erhoben hat.*)
4. Wird durch die Gemeinde gem. § 47 Abs. 3 Satz 1 EnWG (weitergehend) Akteneinsicht erteilt, beginnt nach der gesetzlichen Konzeption auch das Rügeverfahren erneut und kann dann in eine weitere Beantragung einer einstweiligen Verfügung auf der Grundlage des durch die Akteneinsicht vorgegebenen Sachverhalts münden, ohne dass es darauf ankommt, ob diese Rügen aufgrund der neuen Akteneinsicht erstmals erkennbar waren (Abgrenzung von OLG Stuttgart, Urteil vom 25.05.2023 - 2 U 201/22, VPRRS 2023, 0138).*)
5. Beginnt das Rügeverfahren aufgrund einer gewährten (weitergehenden) Akteneinsicht von Neuem, darf ein Wegenutzungsvertrag bis zum Ablauf der Fristen gem. § 47 Abs. 2 Sätze 3, 4 EnWG und § 47 Abs. 5 Satz 1 EnWG nicht abgeschlossen werden.*)
VolltextOnline seit 24. Mai
VPRRS 2024, 0098OLG Koblenz, Beschluss vom 08.11.2021 - Verg 5/21
1. Dokumentationsmängel im Vergabevermerk beinhalten in der Regel per se noch keine Rechtsverletzung.
2. Dokumentationspflichten sind kein Selbstzweck. Ein Bieter kann sich auf ihre Verletzung nur dann berufen, wenn sich der Dokumentationsmangel konkret auf seine Rechtsstellung im Vergabeverfahren negativ ausgewirkt hat.
3. Darauf, dass eine Überprüfung der Bieter auf das Vorliegen etwaiger Ausschlussgründe nicht erfolgt ist, können sich Bieter und Bewerber nur dann berufen, wenn bei einem - vorrangig platzierten - Mitbewerber eine Ausschlussvoraussetzung vorliegt.
4. Ein Vergabeverstoß ist in rechtlicher Hinsicht erkennbar, wenn ein durchschnittlich fachkundiger Bieter des angesprochenen Bieterkreises im Sinne eines sorgfältig handelnden Unternehmens, das mit den wichtigsten Regeln der öffentlichen Auftragsvergabe vertraut ist, bei üblicher Sorgfalt und üblichen Kenntnissen den Sachverhalt zumindest als rechtlich problematisch eingestuft und damit erkannt hätte.
VolltextOnline seit 14. Mai
VPRRS 2024, 0097OVG Hamburg, Beschluss vom 26.09.2023 - 3 Bs 86/23
1. Eine im Rahmen eines verwaltungsrechtlichen Auswahlverfahrens zur Vergabe von Leistungen der Notfallrettung als "Vorabinformation" ergehende Mitteilung des Trägers von Aufgaben des öffentlichen Rettungsdienstes an einen Bewerber über den Ausschluss seines Angebots und die Absicht, den Zuschlag auf das Angebot eines anderen Bewerbers zu erteilen, ist mangels Regelungswirkung nicht als Verwaltungsakt i. S. des § 35 Satz 1 HmbVwVfG zu qualifizieren, wenn diesem nach dem maßgeblichen objektiven Empfängerhorizont nicht entnommen werden kann, dass der Aufgabenträger das Auswahlverfahren mit unmittelbarer und verbindlicher Wirkung für den Bewerber beenden wollte.*)
2. Die hinsichtlich der Beauftragung von Leistungserbringern mit Aufgaben des öffentlichen Rettungsdienstes in § 14 Abs. 1 Satz 2 HmbRDG vorgesehene Möglichkeit, den Kreis der Leistungserbringer auf gemeinnützige Organisationen i. S. des § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB zu beschränken, deren Mitwirkung im Katastrophenschutz der Freien und Hansestadt Hamburg die zuständige Behörde zugestimmt hat, schränkt den Anwendungsbereich des § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB nicht in einer die Gesetzgebungskompetenz des Landesgesetzgebers überschreitenden oder den Vorrang von Bundesrecht gegenüber Landesrecht nicht beachtenden Weise ein.*)
3. Bei der Entscheidung, von der Beschränkungsmöglichkeit des § 14 Abs. 1 Satz 2 HmbRDG Gebrauch zu machen, hat sich die erforderliche Abwägung auch dann primär am Zweck der vorgenannten Ermessensnorm - durch eine Verzahnung von öffentlichem Regelrettungsdienst und Katastrophenschutz das Schutzniveau auch bei der Bewältigung von Großschadenslagen und Katastrophen hochzuhalten - zu orientieren und nicht am Ziel des gesamten Regelungswerks, wenn die Quote der Einhaltung des vom Aufgabenträger festgelegten Zeitrahmens für Notfallrettungseinsätze unzureichend ist.*)
4. Bis zu einer gewissen Grenze ist dem Träger von Aufgaben des öffentlichen Rettungsdienstes bei der Frage des Bedarfs an Aus- und Fortbildung der am Katastrophenschutz mitwirkenden Organisationen durch deren Verzahnung mit dem öffentlichen Rettungsdienst ein sich aus der ihm gem. § 2 HmbKatSG ebenfalls zugewiesenen Aufgabe des Katastrophenschutzes ergebender Einschätzungsspielraum zuzubilligen, der nur eingeschränkter verwaltungsgerichtlicher Kontrolle unterliegt.*)
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