Vergabepraxis & -recht.

Hervorzuhebende Urteile in allen Sachgebieten
In den letzten 30 Tagen wurden folgende wichtige Entscheidungen im Volltext bei vpr-online eingestellt
Online seit gestern
VPRRS 2025, 0102
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10.07.2024 - Verg 2/24
1. Hersteller- und Produktvorgaben sind nur dann durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt, wenn vom Auftraggeber nachvollziehbare objektive und auftragsbezogene Gründe angegeben worden sind und die Bestimmung folglich willkürfrei getroffen worden ist, solche Gründe tatsächlich vorhanden sind und die Bestimmung andere Wirtschaftsteilnehmer nicht diskriminiert.
2. Eine sachliche Rechtfertigung für eine Produktvorgabe kann anzunehmen sein bei zu erwartenden Kompatibilitätsproblemen, die die Funktionalität in nicht hinnehmbarer Weise beeinträchtigen würden und einen unverhältnismäßigen Mehraufwand entstehen ließen (hier bejaht).
3. Es besteht keine Pflicht des öffentlichen Auftraggebers zur Durchführung einer umfassenden Markterkundung.
4. Einer Fachlosvergabe und damit der Prüfung des Vorliegens eines (wirtschaftlichen oder technischen) Rechtfertigungsgrundes für eine Gesamtlosvergabe bedarf es nur, wenn es sich überhaupt um getrennte Märkte handelt.

Online seit 16. Mai
VPRRS 2025, 0100
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 07.08.2023 - Verg 6/23
1. Über die Notwendigkeit eines Verfahrensbeteiligten, einen Rechtsanwalt zuzuziehen, ist nicht schematisch, sondern auf der Grundlage einer differenzierenden Betrachtung des Einzelfalls zu entscheiden. Bei einer Hinzuziehung durch die Behörde ist die Notwendigkeit nur in besonders gelagerten Einzelfällen anzunehmen.
2. Sofern im Mittelpunkt des Nachprüfungsverfahrens auftragsbezogene Sach- und Rechtsfragen stehen, spricht im Allgemeinen mehr dafür, dass der öffentliche Auftraggeber die erforderlichen Sach- und Rechtskenntnisse in seinem originären Aufgabenkreis ohnehin organisieren muss und daher auch im Nachprüfungsverfahren nicht notwendig eines anwaltlichen Bevollmächtigten bedarf.
3. Umgekehrt kann die Beteiligung eines Rechtsanwalts notwendig sein, wenn sich im Nachprüfungsverfahren darüber hinaus nicht einfach gelagerte Rechtsfragen, insbesondere verfahrensrechtlicher oder solcher Art stellen, die auf einer höheren Rechtsebene als jener der Vergabeordnungen zu entscheiden sind.

Online seit 14. Mai
VPRRS 2025, 0098
OLG Naumburg, Beschluss vom 19.07.2024 - 6 Verg 1/24
1. Reicht ein Bieter im Rahmen eines Offenen Verfahrens, in dem die Lieferung einer produktscharf und modellbezogen beschriebenen Ware gefordert und die Lieferung des Nachfolgenmodells unter der Bedingung der Vorlage einer zusätzlichen Herstellerbescheinigung über die Kompatibilität eröffnet wurde, innerhalb der Angebotsfrist ein Angebot über die Lieferung des geforderten Produkts ein, so ist eine Verschlechterung seiner Zuschlagschancen im Vergabeverfahren auszuschließen, wenn er selbst nachträglich erklärt, zur Lieferung des angebotenen Produkts nicht in der Lage zu sein. Dem steht nicht entgegen, dass er nach Ablauf der Angebotsfrist erklärt, zur Lieferung des Nachfolgemodells fähig zu sein.*)
2. Allein dadurch, dass der Auftraggeber trotz erteilter Vorabinformation i.S.v. § 134 GWB zugunsten eines Bieters den Zuschlag in dem Vergabeverfahren nicht an diesen Bieter erteilt, verstößt der öffentliche Auftraggeber noch nicht gegen eine bieterschützende vergaberechtliche Regelung.*)
3. Ein anderer schwerwiegender, vom Gewicht den enumerativ in § 63 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 3 VgV aufgeführten Aufhebungsgründen äquivalenter Grund für eine Aufhebung der Ausschreibung liegt darin, dass zum Zeitpunkt der Aufhebungsentscheidung kein Angebot mehr vorliegt, welches den Ausschreibungsbedingungen entspricht.*)

Online seit 13. Mai
VPRRS 2025, 0095
VG Darmstadt, Beschluss vom 01.04.2025 - 7 L 2856/24
Das Auswahlverfahren zur Vergabe einer Dienstleistungskonzession bzw. eines Dienstleistungsauftrags, die die Vergabe von Zuwendungen zur Erschließung bislang unterversorgter Gebiete mit schnellen Gigabit-Breitbandinternetanschlüssen zum Gegenstand hat, darf in Anlehnung an die kartellvergaberechtlichen Regelungen gestaltet werden. Der Auftraggeber kann dann die Vorschriften der KonzVgV und der VgV anwenden (Anschluss an OVG Sachsen, Beschluss vom 13.10.2022 - 4 B 241/22, IBRRS 2022, 3257 = VPRRS 2022, 0252). Das gilt insbesondere dann, wenn es sich um ein gefördertes Projekt handelt und die entsprechende Anwendung der Vorschriften von KonzVgV und VgV im Zuwendungsbescheid des Fördermittelgebers gefordert wird.

Online seit 12. Mai
VPRRS 2025, 0096
OLG Naumburg, Urteil vom 17.01.2025 - 6 U 1/24
1. Zum Schadensersatzanspruch des öffentlichen Auftraggebers gegen einen Bieter nach § 180 Abs. 1 GWB.*)
2. Für die Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs gegen einen Teilnehmer des Vergabeverfahrens kann sich der öffentliche Auftraggeber neben § 180 GWB auch auf die Vorschriften des allgemeinen Zivilrechts, insbesondere auf §§ 280 Abs. 1 und Abs. 3, §§ 282, 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 BGB, stützen.*)
3. In einem durch die Teilnahme an einem Vergabeverfahren begründeten vorvertraglichen Schuldverhältnis zwischen dem öffentlichen Auftraggeber und einem Wirtschaftsteilnehmer obliegen den Parteien wechselseitig die Nebenpflichten nach § 241 Abs. 2 BGB, welche durch die im Verfahren geltenden Vergabevorschriften konkretisiert werden. Ein Bieter, der gegen das Gebot des Geheimwettbewerbs verstößt, indem er sein Angebot in Kenntnis der Kalkulationsgrundlagen des Angebots eines Mitbewerbers erstellt und dabei dessen Preisansätze jeweils systematisch unterschreitet, verstößt auch gegen die Rücksichtnahmepflicht des § 241 Abs. 2 BGB.*)

Online seit 9. Mai
VPRRS 2025, 0093
VK Westfalen, Beschluss vom 12.03.2025 - VK 1-7/25
1. Hat sich das Nachprüfungsverfahren durch Erteilung des Zuschlags, durch Aufhebung oder durch Einstellung des Vergabeverfahrens oder in sonstiger Weise erledigt, stellt die Vergabekammer auf Antrag eines Beteiligten fest, ob eine Rechtsverletzung vorgelegen hat.
2. Ungeschriebene Zulässigkeitsvoraussetzung für den Fortsetzungsfeststellungsantrag ist das Vorliegen des sog. Feststellungsinteresses. Ein solches Feststellungsinteresse rechtfertigt sich durch jedes Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art und muss geeignet sein, die Rechtsposition des Antragstellers in einem der genannten Bereiche zu verbessern und eine Beeinträchtigung seiner Rechte auszugleichen oder zu mildern.
3. Durch die Erklärung des Antragsgegners, sich der Erledigungserklärung des Antragstellers anzuschließen, ist das Nachprüfungsverfahren beendet. Eine Umstellung von Anträgen im laufenden Nachprüfungsverfahren ist nicht mehr möglich.

Online seit 7. Mai
VPRRS 2025, 0092
VK Thüringen, Beschluss vom 12.03.2025 - 5090-250-4003/499
1. Die künstliche Aufspaltung von eines einheitlichen (Interims-)Beschaffungsbedarfs, sei es durch mehrere Interimsaufträge, sei es durch eine Kombination aus Vertragsverlängerungen und (neuen) Interimsaufträgen, verstößt gegen das Umgehungsverbot mit der Folge, dass die Auftragswerte zu addieren sind.
2. Es ist nicht zulässig, wenn der Auftraggeber in der Auftragsbekanntmachung hinsichtlich der vorzulegenden Eignungsunterlagen lediglich auf die Vergabeunterlagen verweist. Eine konkrete Verlinkung auf ein elektronisch ohne Weiteres zugängliches Dokument ist dagegen ausreichend, wenn an dem Auftrag interessierte Unternehmen durch bloßes Anklicken zu dem verlinkten Formblatt gelangen können und auf einen Blick erkennen können, welche Anforderungen an sie gestellt werden.
3. Aus dem Transparenz- und Gleichbehandlungsgrundsatz resultiert grundsätzlich die Verpflichtung, Antworten auf Bieterfragen allen Bietern zur Verfügung zu stellen.
4. Bei der Festlegung des Auftragsbeginns handelt es sich grundsätzlich um eine Vertragsbestimmung und nicht um eine Vorschrift über das Vergabeverfahren, deren Verletzung im Nachprüfungsverfahren zur Überprüfung steht. Etwas anderes gilt dann, wenn sich eine Vertragsbestimmung auf die Auftragschancen eines Bieters auswirkt (hier bejaht für eine dreitägigen Ausführungsfrist).

Online seit 5. Mai
VPRRS 2025, 0088
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16.04.2025 - Verg 35/24
Eine Wertungsmethode, die einen individuell von jedem Bieter selbst zu bestimmenden sog. Bietungsfaktor enthält, ist wegen Verstoßes gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz vergaberechtswidrig.

Online seit 30. April
VPRRS 2025, 0087
EuGH, Urteil vom 29.04.2025 - Rs. C-452/23
Art. 43 Abs. 1 c Richtlinie 2014/23/EU ist dahin auszulegen, dass
- unter den in dieser Bestimmung vorgesehenen Voraussetzungen eine Konzession auch dann ohne Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens geändert werden kann, wenn sie ursprünglich ohne Ausschreibung an eine In-House-Einrichtung vergeben wurde und ihr Gegenstand zu einem Zeitpunkt geändert wird, zu dem der Konzessionsnehmer keine In-House-Einrichtung mehr ist;
- er die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet, sicherzustellen, dass die nationalen Gerichte inzident und auf Antrag die Rechtmäßigkeit der ursprünglichen Vergabe einer Konzession anlässlich einer Klage auf Nichtigerklärung einer Änderung der Konzession überprüfen, wenn die Klage nach Ablauf aller Fristen, die im nationalen Recht in Anwendung von Art. 2f Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21.12.1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge in der durch die Richtlinie 2014/23/EU geänderten Fassung für die Anfechtung dieser ursprünglichen Vergabe vorgesehen sind, von einem Wirtschaftsteilnehmer erhoben wird, der ein Interesse daran nachweist, dass allein der Teil dieser Konzession, der Gegenstand der Änderung ist, an ihn vergeben wird;
- die Änderung einer Konzession i.S.v. Art. 43 "erforderlich wurde", wenn unvorhersehbare Umstände eine Anpassung der ursprünglichen Konzession erfordern, um sicherzustellen, dass sie weiterhin ordnungsgemäß ausgeführt werden kann.

Online seit 29. April
VPRRS 2025, 0086
BayObLG, Beschluss vom 09.04.2025 - Verg 1/25
1. Die Möglichkeit des Bieters, sich auf mehrere Referenzen für Teilleistungen zu berufen, besteht nur dann, wenn sie weder in der Bekanntmachung noch in den Verdingungsunterlagen ausgeschlossen wurde.
2. Aus der Formulierung "Auftragsmenge von mind. 10.000 Stück" folgt, dass Bieter sich hinsichtlich dieser Mindestauftragsmenge nur auf einen einzigen Referenzauftrag und nicht auf mehrere Aufträge berufen können.
3. Dem Auftraggeber steht zwar bei der Entscheidung, welche Anforderungen er an die Eignung der Bieter stellen will, und bei der Bewertung der Referenzen ein weiter Beurteilungsspielraum zu, er ist aber an die von ihm selbst aufgestellten und bekannt gegebenen Anforderungen gebunden und darf hiervon nicht nachträglich zu Gunsten einzelner Bieter abweichen.

Online seit 22. April
VPRRS 2025, 0085
VK Saarland, Beschluss vom 18.11.2024 - 3 VK 03/2024
1. Eine Änderung der Vergabeunterlagen ist dann anzunehmen, wenn der Bieter etwas Anderes anbietet, als der Auftraggeber im Rahmen seines Leistungsbestimmungsrechts verlangt und das Angebot dem vom Auftraggeber nachgefragten Gegenstand nicht entspricht.*)
2. Schreibt ein Auftraggeber eine Stahl-Modulbauweise aus, stellt ein angebotenes Bausystem aus Stahlbetonfertigteilen aufgrund des Verbunds der Werkstoffe von Beton und Stahl auch bei einer integrierten Stahlkonstruktion keine Stahl-Modulbauweise dar, sondern ist als ein Aliud zu klassifizieren.*)
