VK Nordbayern, Beschluss vom 06.07.2022 - RMF-SG21-3194-7-16
1. Anders als die Zuschlagsentscheidung des öffentlichen Auftraggebers wirkt seine Aufhebungsentscheidung nicht als absolute, den Primärrechtsschutz ausschließende Zäsur, so dass die Aufhebungsentscheidung einer Kontrolle im Nachprüfungsverfahren unterzogen werden kann.*)
2. Als Feststellungsinteresse genügt jedes anzuerkennende Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art, wobei die beantragte Feststellung geeignet sein muss, die Rechtsposition des Antragstellers in einem der genannten Bereiche zu verbessern und eine Beeinträchtigung seiner Rechte auszugleichen oder wenigstens zu mildern. Es ist jedenfalls gegeben, wenn die Feststellung zur Vorbereitung eines Schadensersatzanspruchs dient und ein solcher Prozess mit hinreichender Sicherheit zu erwarten ist und nicht offenbar aussichtslos erscheint.*)
3. Es ist nicht Aufgabe der Vergabekammer - anders als im Fall, in dem die Unwirksamkeit eines Zuschlags gerügt wird - streitig über die Frage, ob ein Zuschlag wirksam zustande gekommen ist, zu befinden.*)
4. Bieter müssen die Aufhebung des Vergabeverfahrens nicht nur dann hinnehmen, wenn sie vergaberechtlich zulässig und daher von vornherein rechtmäßig ist. Ein öffentlicher Auftraggeber ist grundsätzlich nicht gezwungen, ein Vergabeverfahren mit der Zuschlagserteilung abzuschließen, auch wenn keiner der zur Aufhebung berechtigenden Tatbestände erfüllt ist. Die vergaberechtlichen Aufhebungsgründe schränken das Recht des Auftraggebers, ein Vergabeverfahren ohne Zuschlag zu beenden, grundsätzlich nicht ein. Sie haben vielmehr Bedeutung für die Abgrenzung einer rechtmäßigen Aufhebung von einer zwar wirksamen, aber rechtswidrigen Beendigung des Vergabeverfahrens.*)
5. Gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VgV ist der öffentliche Auftraggeber berechtigt, ein Vergabeverfahren ganz oder teilweise aufzuheben, wenn sich die Grundlage des Vergabeverfahrens wesentlich geändert hat. Anerkannt ist, dass die Änderung erst nach Einleitung des Vergabeverfahrens, d. h. nach Bekanntmachung, eingetreten sein darf. Zudem ist anerkannt, dass die Änderungen zum Zeitpunkt der Einleitung des Vergabeverfahrens nicht vorhersehbar gewesen sein durften. Dies gilt insbesondere für die Änderung des definierten Beschaffungsbedarfs.*)
6. Nach § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VgV ist die Entscheidung über die Aufhebung in das Ermessen der Vergabestelle gestellt, da die Vorschrift zur Aufhebung berechtigt, jedoch nicht verpflichtet. Im Rahmen dieser Ermessensentscheidung, die nachvollziehbar dokumentiert sein muss, sind die betroffenen Interessen in eine Abwägung einzustellen. Neben den Interessen des Auftraggebers sind daher insbesondere auch die Interessen der Bieter in die Abwägung mit einzubeziehen.*)
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