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Vom BGH nachvollziehbar in die Schranken des § 642 BGB gewiesen, aber ...

Der Besteller B aus unserem (realitätsnahen) Fall lässt den Unternehmer U (Klima-U) und dessen Bauzeitnachtrag mit BGH "Vorunternehmer I" aus dem Jahr 1985 (VII ZR 23/84) durch die Maschen des Rechtsnetzes fallen, ein Netz, das eigentlich die Interessen der Beteiligten auf beiden Vertragsseiten in ausgewogener Weise schützen soll. Damit nicht genug. Gegen den hilfsweise auf einen Entschädigungsanspruch gerichteten Vortrag des Klima-U wendet der B die jüngste Rechtsprechung des BGH zu § 642 Abs. 2 BGB an und stellt, nachdem der Rechtsvertreter des Klima-U nachdrücklich insistiert hatte, zwar eine gewisse Entschädigung in Aussicht. Diese "gewisse Entschädigung" würde sich, das weiß der Klima-U, allerdings auf einen Betrag belaufen, der sehr weit unter der tatsächlichen Höhe aller seiner Nachteile aus dem Mitwirkungsmangel des B liegt. Und, ...

auch das weiß der Klima-U, für einen Entschädigungsanspruch hat er unter anderem grundlegend nachzuweisen, dass und über welche Dauer sich der B mit einer Mitwirkung im Annahmeverzug (§ 293 BGB) befunden hat.

Wie der BGH § 642 Abs. 2 BGB auslegt

Nach den Entscheidungen BGH "Entschädigungsdauer" vom 26.10.2017 (VII ZR 16/17, BauR 2018, 242) und BGH "Entschädigungshöhe" vom 30.01.2020 (VII ZR 33/19, NZBau 2020, 362) gilt im Kern:

Der Entschädigungsanspruch nach § 642 BGB umfasst nicht die Mehrkosten wie gestiegene Lohn- und Materialkosten, die zwar aufgrund des Annahmeverzugs des Bestellers infolge Unterlassens einer ihm obliegenden Mitwirkungshandlung, aber erst nach dessen Beendigung anfallen, nämlich bei Ausführung der verschobenen Werkleistung; BGH "Entschädigungsdauer", a.a.O., Rn. 18, 21, 28 ff.
Denn das zeitliche Kriterium für die Bemessung der Entschädigungshöhe sei, so der BGH, nach dem Wortlaut des § 642 Abs. 2 BGB nur die Dauer des Annahmeverzugs, was ein gewichtiges Indiz dafür sei, dass eine Entschädigung nach § 642 BGB auch nur für diesen Zeitraum beansprucht werden könne.

Der BGH weiter: Mehrkosten wie gestiegene Lohn- und Materialkosten, die zwar aufgrund des Annahmeverzugs des Bestellers, aber erst nach dessen Beendigung anfielen, nämlich bei Ausführung der verschobenen Werkleistung, seien vom Entschädigungsanspruch nach § 642 BGB nicht erfasst. Vielmehr bestimme sich die Höhe der Entschädigung lediglich unter dem im Gesetz genannten Bemessungskriterium "nach der Dauer des Verzugs" und nicht dessen Auswirkungen auf den weiteren Bauablauf. So sei es in der Literatur schon früher herausgestellt worden; siehe dazu: Althaus, NZBau 2015, 67, 71; Glöckner, BauR 2014, 368, 376; Roskosny/Bolz, BauR 2006, 1804, 1807; Boldt, BauR 2006, 185, 193 ff.

Das heißt: Die monetären Folgen einer Behinderung aus (verschuldensunabhängigem) Annahmeverzug, die Folgen, die sich etwa erst in der behinderungsveranlasst verlängerten Bauzeit zeigen, sollen dem Unternehmer (hier Klima-U) unter dem Recht des § 642 BGB nicht entschädigt werden.
Der Zugang zur Entschädigung aller Nachteile des Klima-U, die sich bspw. nach dem Ende des Annahmeverzugs in der Bauzeitverlängerung entfalten, ist dem Klima-U mit dieser Auslegung des § 642 BGB versperrt. Ein Volumen, das regelmäßig weit höher ist als das Volumen der Nachteile, die einem aus Annahmeverzug behinderten Unternehmer während der "Dauer des [Annahme]Verzugs" entstehen. Darin geht es - bitte, das mag der Leser verstehen - bei weitem nicht nur um Kostenveränderungen aus Lohn- und Materialpreissteigerungen. Solche sind das Allergeringste an den typischen monetären Folgen eines Annahmeverzugs.

Unternehmer fällt durch eine Regelungslücke hindurch

Die Möglichkeit zum Schadensersatz ist dem Unternehmer bei den Vorunternehmerfällen rechtsgrundsätzlich nicht gegeben (siehe auch Blog-Eintrag vom 23.01.2023). Dadurch fällt der Unternehmer im Allgemeinen und der Klima-U in unserem Fall ungerechterweise buchstäblich durch eine Regelungslücke hindurch (Stichwort: Gerechtigkeitslücke). Denn er kann über § 642 BGB zwar Entschädigung für seine annahmeverzugsbedingten Nachteile während der Dauer des Verzugs beanspruchen, aber nicht den Ersatz jener Nachteile, die ihm nach dem Ende des Verzugs entstehen, so etwa in der annahmeverzugsbedingten Bauzeitverlängerung und Verschiebung von Bauleistung dorthinein.

Wenn mit alledem Entschädigungsansprüche aus Annahmeverzug des Bestellers in der Bauabwicklung zwar ...

Vom BGH nachvollziehbar in die Schranken des § 642 BGB gewiesen

... sind, drängt sich gleichwohl die Frage auf, ob der historische Gesetzgeber bei der Einführung des § 642 BGB - vor mehr als 120 Jahren zumal - überhaupt die heutigen hochgradig störempfindlichen Bauabwicklungen vor Augen hatte. Nein, das darf bezweifelt werden. Es ist vielmehr sehr fraglich, ob § 642 BGB als Rechtsnorm zur Unterordnung gestörter Bauabläufe unter die Voraussetzungen dieser Norm, das heißt für die Subsumtion taugt.

Wenn das die bittere Pille unserer heutigen störempfindlichen Bauabwicklungen sein sollte, bliebe die Erkenntnis: Das Gesetz ist lückenhaft. Ein mutiger Appell könnte dann lauten: Das Gesetz ist nachzubessern.


(Reihe wird fortgesetzt mit dem Nachweis der Entschädigungshöhe, wie ihn der BGH sieht, und daran anschließend mit einem verbreiteten Missverständnis der BGH-Rechtsprechung, aufgrund dessen Entschädigung weiter geschmälert wird, die ohnehin bereits schmal ist)



Dr.-Ing. Matthias Drittler
(erstellt am 30.01.2023 um 18:34 Uhr)

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