EuGH: Wann darf eine Konzession ohne Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens geändert werden?

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Etwa 90 % der Rastanlagen an deutschen Autobahnen werden von den Unternehmen Autobahn Tank & Rast und Ostdeutsche Autobahntankstellen auf der Grundlage von rund 360 Konzessionsverträgen mit dem deutschen Staat1 betrieben. Dieser erweiterte die bestehenden Konzessionen in der Folge ohne Vergabeverfahren auf die Errichtung und den Betrieb von Ladestationen für Elektrofahrzeuge an den Rastanlagen. Fastned2, die in Deutschland solche Ladestationen betreibt, wendet sich vor einem deutschen Gericht gegen diese Erweiterung.
280 der 360 Konzessionen waren ursprünglich zwischen 1996 und 1998 ohne Ausschreibung mit einer Laufzeit von bis zu 40 Jahren an die Vorgängerin3 der beiden genannten Betreiber vergeben worden. Die Vorgängerin stand damals zu 100 % im Besitz des deutschen Staates, wurde dann aber vollständig privatisiert.
Fastned hält die Erweiterung der Konzessionen auf Ladestationen für ungültig, da ihr ein unionsweites Vergabeverfahren hätte vorausgehen müssen.
Das deutsche Gericht hat den Gerichtshof zu den Vorschriften der Europäischen Union über die Vergabe von Konzessionen befragt, die aufgrund ihres Wertes grundsätzlich für den Wettbewerb geöffnet sein müssen4.
Eine dieser Vorschriften gestattet es unter bestimmten Voraussetzungen5, eine bestehende Konzession ohne Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens zu ändern, wenn die Änderung aufgrund unvorhersehbarer Umstände "erforderlich wurde". Fastned ist der Ansicht, diese Vorschrift gelte nicht für Konzessionen, die ursprünglich ohne Ausschreibung vergeben worden seien.
Der Gerichtshof antwortet, dass die fragliche Vorschrift auch dann gilt, wenn die Konzession ursprünglich ohne Ausschreibung an eine In-House-Einrichtung6 vergeben wurde und ihr Gegenstand zu einem Zeitpunkt geändert wird, zu dem der Konzessionsnehmer keine In-House-Einrichtung mehr ist. Die Vorschrift verlangt nicht, dass die nationalen Gerichte die Rechtmäßigkeit der ursprünglichen Vergabe einer Konzession anlässlich einer Klage auf Nichtigerklärung einer Änderung der Konzession überprüfen, wenn alle Fristen für die Anfechtung der ursprünglichen Vergabe abgelaufen sind.
Der Gerichtshof fügt hinzu, dass die Änderung einer Konzession im Sinne dieser Vorschrift "erforderlich wurde", wenn unvorhersehbare Umstände eine Anpassung der ursprünglichen Konzession erfordern, um sicherzustellen, dass sie weiterhin ordnungsgemäß ausgeführt werden kann. HINWEIS: Mit einem Vorabentscheidungsersuchen haben die Gerichte der Mitgliedstaaten die Möglichkeit, dem Gerichtshof im Rahmen eines Rechtsstreits, über den sie zu entscheiden haben, Fragen betreffend die Auslegung des Unionsrechts oder die Gültigkeit einer Handlung der Union vorzulegen. Der Gerichtshof entscheidet dabei nicht den beim nationalen Gericht anhängigen Rechtsstreit. Dieser ist unter Zugrundelegung der Entscheidung des Gerichtshofs vom nationalen Gericht zu entscheiden. Die Entscheidung des Gerichtshofs bindet in gleicher Weise andere nationale Gerichte, wenn diese über vergleichbare Fragen zu befinden haben.
Fußnoten
1 Über Die Autobahn des Bundes, eine Gesellschaft privaten Rechts, die im unveräußerlichen Eigentum der Bundesrepublik Deutschland steht.
2 Ursprünglich focht neben Fastned auch Tesla Germany die Änderungen der Konzessionen an, aber sie ist aus dem Verfahren ausgeschieden.
3 Die Tank & Rast AG.
4 Richtlinie 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Konzessionsvergabe.
5 Nach der fraglichen Bestimmung hängt die Möglichkeit, eine Konzession ohne Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens zu ändern, davon ab, dass drei Voraussetzungen erfüllt sind. Die erste Voraussetzung besteht aus zwei Elementen, und zwar dem Eintritt von Umständen, die ein seiner Sorgfaltspflicht nachkommender öffentlicher Auftraggeber nicht vorhersehen konnte, und der Tatsache, dass aufgrund dieser Umstände die Änderung der betreffenden Konzession erforderlich wurde. Nach der zweiten Voraussetzung darf sich aufgrund der Änderung der Gesamtcharakter der fraglichen Konzession nicht verändern. Nach der dritten Voraussetzung darf sich der Wert dieses Vertrags grundsätzlich um höchstens 50 % des Wertes des ursprünglichen Konzessionsvertrags erhöhen.
6 Nach den Vorschriften, die galten, als 280 der 360 in Rede stehenden Konzessionen ursprünglich vergeben wurden, lag eine In-House-Einrichtung vor, wenn der öffentliche Auftraggeber über sie eine ähnliche Kontrolle ausübte wie über seine eigenen Dienststellen und wenn sie ihre Tätigkeit im Wesentlichen für diesen öffentlichen Auftraggeber verrichtete.
(Quelle: EuGH)